Helga König im Gespräch mit dem Philosophen Dr. phil #Christoph_Quarch.

 Dr. phil. Christoph Quarch
Foto: K1024 #Achim_Hehn, 2016
Dr. phil. Christoph Quarch (*1964 in Düsseldorf) ist Philosoph, Bestsellerautor, Redner und Denkbegleiter für Unternehmen. Er veranstaltet Philosophiereisen (siehe auch ZEIT-Reisen) und lehrt an verschiedenen Hochschulen. Autor und Herausgeber von zig Büchern, zuletzt: Platon und die Folgen (Metzler 2018), Nicht denken ist auch keine Lösung (GU 2018), Rettet das Spiel! (btb 2018), Officina Humana (av edition), Der kleine Alltagsphilosoph (GU 2014)… www.christophquarch.de.

Quarchs Philosophie steht in der Tradition der Philosophischen Hermeneutik Hans-Georg Gadamers, für den er als wissenschaftliche Hilfskraft tätig war. Ihm geht es um ein fundiertes Verständnis unseres Menschseins, um von dort Wegweisung für ein gelingendes Leben zu gewinnen. Dabei aktualisiert er unterschiedliche philosophische Ansätze von Platon und Aristoteles bis zu Nietzsche und Heidegger. Wichtigste Inspirationsquelle ist ihm dabei die antike Philosophie; allen voran Platon.   
   
Von sich selbst sagt  Dr.  Christoph Quarch: "Ich bin Philosoph aus Leidenschaft. Seit mir als jungem Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt mich eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die ich als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben verstehe. Als Bestsellerautor, Redner, ZEIT-Reiseleiter/-veranstalter und Denkbegleiter für Unternehmen greife ich auf die großen Werke der abendländischen Philosophen, allen voran Platon zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen." 

Lieber Herr Dr. Quarch, herzlich willkommen auf  der Plattform "Buch, Kultur und Lifestyle".  Ich freue mich, dass Sie sich an unserem Langzeitprojekt für mehr Mitmenschlichkeit "Interviews - Begegnungen mit Menschenfreunden im Netz"  durch unser Gespräch beteiligen.

Helga König: Was bedeutet für Sie Mitmenschlichkeit? 

 Dr. phil. Christoph Quarch
Foto: #Achim_Hehn, 2016
Dr. phil. Christoph Quarch: Mitmenschlichkeit ist ein Wesensmerkmal des Menschen. Auch wenn dieser Grundzug unseres Seins durch fragwürdige moderne Deutungen des Menschseins derweil in Vergessenheit geraten ist. Bedauerlicherweise haben wir uns seit dem 17. Jahrhundert angewöhnt, den Menschen als einen rationalen Egoisten zu deuten, der keinen anderen Lebensinhalt kennt, als seinen eigenen Vorteil zu suchen. In Wahrheit aber – und das lehren derweil auch die empirischen Lebenswissenschaften wie Biologie, Neurophysiologie oder Psychologie – sind wir Wesen der Verbundenheit, deren Identität sich nur in Verbundenheit mit anderen entfaltet. 

 Helga König
Helga König: Welche Bedeutung hat Fairness in Ihrem Leben? 

Dr. phil. Christoph Quarch: Fairness ist eine Haltung, die wir kultivieren sollten, weil sie uns darin unterstützt, unsere Menschlichkeit zu entfalten. Wie alles Leben, so wächst und gedeiht auch das Menschenleben nur dann, wenn es ein gutes Gleichgewicht von Nehmen und Geben gibt. Darum zu wissen und entsprechend mit anderen umzugehen, heißt, der fundamentalen Ökonomie – und Ökologie – des Lebens zu genügen. 

Helga König: Der griechische Philosoph Platon sagte "Wenn das Recht regiert, sind die Waffen überflüssig." Zu keiner Zeit hat es so viele Waffen gegeben wie heute. Liegt dies daran, dass das Recht seitens des Mächtigen keine Wertschätzung mehr erfährt und welche Gründe könnte dies haben? 

 Dr. phil. Christoph Quarch
Foto: #Achim_Hehn, 2016
Dr. phil. Christoph Quarch: Platon war davon überzeugt, dass ohne Rechtsstaatlichkeit kein gedeihliches Leben auf Erden möglich ist. Und er meinte, ein Gemeinwesen sei zum Untergang verdammt, wenn seine Herrschenden sich nicht als Diener des Rechts sehen. Diese Hochschätzung des Rechts erklärt sich daraus, dass es mit seiner Hilfe möglich ist, dem stetig sich wandelnden Fluss des Lebens ein verbindliches, verlässliches und tragfähiges Fundament einzuzeichnen. Doch dieses Fundament verdankt seine Stabilität der Kultur eines Gemeinwesens. Wo diese Kultur vernachlässigt wird, wo der Gemeinsinn eines Gemeinwesens schwindet und der Egoismus der Einzelnen an seine Stelle tritt, verliert das Recht seine Macht und wird durch die Gewalt Einzelner ersetzt. Das gilt für einen Staat ebenso wie für die internationale Staatengemeinschaft. 

Helga König: Sie haben im April dieses Jahres den Tweet gepostet „#Heilung aus antiker Sicht gesehen bedeutet #Maßhalten. Der eigentliche Gott der Heilkunst war #Apollon.“ Können Sie dazu Näheres anführen? 

Dr. phil Christoph Quarch: In der antiken Mythologie erscheint Apollon als die zu einer strahlenden Gestalt verdichtete Sinnhaftigkeit, Schönheit und Harmonie des Lebens. In diesem Gott verehrten die alten Griechen mithin die strukturbildende, ordnungsschaffende und vor allem harmonisierende Intelligenz, die allem Leben innewohnt. In seinem zentralen Heiligtum zu Delphi stand das Wort geschrieben: "Das beste ist das Maß." Darin zeigt sich der ethische Impuls, der von Apollon ausgeht: Er begeistert den Menschen dazu, das Maß des Lebens – das in ihm verdichtet ist – zu wahren oder wiederherzustellen, wo es gestört ist: das Gleichgewicht, die Balance, die Stimmigkeit. Wo das geschieht, wo Leben mit sich selbst und seiner Umwelt im Einklang ist, da geschieht Heilung. 

Helga König: Mit Prof. Dr. Gerald Hüther haben Sie gemeinsam das bemerkenswerte Buch "Rettet das Spiel" verfasst. Was hat es mit der spielerischen Lebenskunst im Alltag auf sich und könnte diese der Weg zu einem besseren Miteinander sein? 

 Dr. phil. Christoph Quarch
Foto: #Achim_Hehn, 2016
Dr. phil Christoph Quarch: Spielerische Lebenskunst bedeutet ein Doppeltes: Zu einen geht es darum, eine spielerische Haltung auszubilden, die den Eigenwert des jeweiligen Handelns würdigt und nicht dauernd danach fragt, welchen Vorteil, Nutzen oder Profit man davon hat. Zum anderen gehört dazu, tatsächlich immer wieder Spielräume und Spielzeiten zu definieren, in denen man befreit von der Zweckrationalität der alltäglichen Betriebsamkeit und Geschäftigkeit etwas tun darf, was sich völlig selbst genügt und keinen Nutzen bringen muss. 

 Helga König
Helga König:"Meistens wird der Charakter jedes einzelnen durch seine Wünsche und durch seine psychische Gemütsart geformt," soll Platon gesagt haben und Kant sagte, soweit ich mich erinnern kann, dass im Alter von 40 Jahren sich der Charakter eines Menschen endgültig herausgebildet hat. Mithilfe der Medien wurden die letzten 30 Jahre die Menschen zugedröhnt mit vermeintlichen Wünschen, die sie zuvor nicht hatten und ihre psychische Gemütsart bis zur Unkenntlichkeit verformt. Was nun? 

Dr. phil Christoph Quarch: Das Platon-Zitat ist mir, offen gestanden, nicht bekannt; und das, obwohl ich mich bei Platon sehr gut auskenne. Aber wie dem auch sei. Wir stehen tatsächlich inmitten einer Dynamik, die seit dem 18. Jahrhundert auf uns gekommen ist, und die sich wie folgt beschreiben lässt: Erst hat der Mensch sich einreden lassen, Erfüllung darin zu finden, dass er seine Ziele erreicht und seine Bedürfnisse befriedigt. Dann hat er auf dieser Grundlage eine konsumgetriebene Wirtschaftsordnung errichtet, deren Wachstum und Erfolg unmittelbar an der Bedürfnisbefriedigung der Konsumenten hängt. Dann stellte man fest, dass der Konsument alle Bedürfnisse befriedigt hatte und also verlagerte sich die "Wertschöpfung" von der Erzeugung von Konsumgütern hin zur Erzeugung von Konsumbedürfnissen. Diese Dynamik wird nun mithilfe von Algorithmen der Künstlichen Intelligenz perfektioniert. Der Mensch wird darauf reduziert Konsument und Verbraucher, bzw. Kunde zu sein. Zu mehr werden wir nicht gebraucht. – Sie fragen, was nun? Naja, entweder Revolution oder das Ende der Menschheit. 

Helga König: Platon soll auch gesagt haben: "Eine Seele wird eher entmutigt bei starker geistiger Tätigkeit als bei körperlichen Anstrengungen." Was schlagen Sie als Philosoph unseren Lesern vor, um ihre Seele zu stärken und dabei nicht geistig untätig zu sein? 

 Dr. phil. Christoph Quarch
Foto: #Achim_Hehn, 2016
Dr. phil Christoph Quarch: Wie alle Griechen erkannte auch Platon die eigentliche Vitalenergie des Menschen in derjenigen Kraft, die er Eros nannte. Eros ist – griechisch gedacht – Leidenschaft, Lust, Begeisterung, Hingabe, Liebe. Er ist die Kraft, mit der das Leben in uns zu sich selbst kommen möchte; die Kraft, die uns dazu antreibt, unsere Potenziale zu entfalten und zur ganzen Schönheit eines reifen Menschenlebens zu erblühen. Diese Kraft jedoch kann niemand aus sich selbst heraus erzeugen. Eros ist ein Geist, der über uns kommt - und zwar immer in der Begegnung mit anderen. Deshalb werden Sie Ihre Seele nur dann stärken können, wenn Sie anfangen, nicht länger um Ihr Ego mit all seinen Wünschen und Bedürfnissen zu kreisen, sondern sich bedingungslos dem Leben hingegeben. "Alles wirkliche Leben ist Begegnung", sagte Martin Buber. 

 Helga König
Helga König: Welche Tugenden sollten wir in unserer Zeit besonders kultivieren und weshalb? 

Dr. phil Christoph Quarch: Alle Tugenden, die uns mit anderen ins Gespräch bringen und uns aus unserer Egozentrierung befreien können: Die Tugend der Empfänglichkeit und Offenheit für andere, die Tugend des Zuhörens, die Tugend des Sich-Einlassens auf andere, die Tugend des verantwortlichen Antwortgebens auf den Anspruch, den die Welt an uns richtet, die Tugend der Courage, um den Ansprüchen der Welt (und unserer Mitmenschen) genügen zu können; die Tugend der Großzügigkeit, die uns von Gier und Geiz befreit; die Tugend der Weisheit, ohne die wir ewig weiter anmaßend, vermessen und maßlos unser Leben verpassen. 

Helga König: Sind die sozialen Netzwerke in Ihren Augen eine gute Möglichkeit, der heutigen Beziehungsarmut zu entfliehen und endlich wieder das Gespräch mit anderen zu suchen? 

 Dr. phil. Christoph Quarch
Foto: #Achim_Hehn, 2016
Dr. phil Christoph Quarch: Nein, soziale Netzwerke sind nützlich, bestehende Verbindungen über größere Entfernungen und Zeiträume aufrecht zu erhalte. Aber sie sind völlig unbrauchbar, um verbindliche Beziehungen zu stiften. Der Grund ist einfach: Im virtuellen Raum begegnen sich ausschließlich virtuelle Bilder unserer selbst: Wir legen ein Profil von uns an und kommunizieren mit den Informationen, die ein anders Profil uns zuspielt. Aber ein Mensch ist immer sehr viel mehr als sein Profil – er ist ein Leib, ist eine Seele, ist ein Geist – ist eine Ganzheit aus alledem; aber davon kommt im Netz nichts vor, da all das, Gott sein Dank, nicht digitalisierbar ist. 

 Helga König
Helga König: Wo können wir Menschen am besten Inseln der Liebe entdecken und wie können wir viele davon für uns alle gestalten?

Dr. phil Christoph Quarch: Indem wir unsere elektronischen Geräte beiseite legen, einander in die Augen sehen oder an den Händen halten und auf das hören, was uns andere zu sagen haben; und indem wir unsere urbanen Räumen verlassen, hinausgehen in die Gärten und Wälder, uns den Wind um die Nase wehen lassen und darauf achten, was das Leben uns zu sagen hat. Mit einem Wort: indem wir uns dem Leben anvertrauen und die religio – die Rückbindung – ans Heilige Sein der Welt zurückgewinnen.

Lieber Christoph Quarch, ich danke Ihnen  herzlich für das aufschlussreiche Gespräch.

Ihre Helga König

Anbei der Link zur Homepage  von Dr. phil Christoph Quarch: www.christophquarch.de.

Dr. Quarchs Bücher  kann man direkt bei ihm bestellen: https://www.christophquarch.de/shop/

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