Helga König im Gespräch mit der Schauspielerin und Lyrikerin Angélique Duvier und dem Jazz-Pianisten Vladyslav Sendecki

Angélique Duvier, Vladyslav Sendecki
 Foto: Co. Duvier/Sendecki
Angélique Duvier ist in der Nähe von Hamburg geboren. Sie hat Schauspiel studiert und an vielen großen Theatern gearbeitet. Zudem hat sie Gedichtsbände veröffentlicht und nicht zuletzt mit ihrem Ehemann Vladyslav Sendecki 2009 das Lyrik& Jazz Ensemble gegründet. 

Vladyslav Sendecki, ist ein mehrfach ausgezeichneter Jazz-Pianist und lebt derzeit in Hamburg. Aufgewachsen ist er in Krakau. Näheres siehe Interview

Liebe Angélique Duvier, lieber Vladyslav Sendecki, es freut mich sehr, dass Sie beide an dem Ethik-Langzeitprojekt auf "Buch, Kultur und Lifestyle" teilnehmen.

Helga König:  Liebe Angélique Duvier, welchen Stellenwert hat für Sie Mitmenschlichkeit in Ihrem Beruf als Schauspielerin?

Angélique Duvier
Angélique Duvier: Einen sehr hohen, denn ohne Mitmenschlichkeit ist ein (e) guter Schauspieler/in kaum in der Lage, Rollenfiguren nachzuempfinden und den Charakter so darzustellen, dass es die Zuschauer berührt. Auch den Kollegen gegenüber ist Mitmenschlichkeit extrem wichtig. Der Schauspielberuf lebt von Gefühlen, auf der Bühne, ebenso wie hinter den Kulissen. Für mich bedeutet Mitmenschlichkeit: Empathie, Rücksichtnahme, Toleranz, Aufmerksamkeit, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe, diese Eigenschaften machen unsere Menschlichkeit aus.

Menschlichkeit wird als Grundstein der Menschenrechte gesehen. Solidarität ist ein Gefühl, dass die Menschen aufeinander angewiesen sind, dass sie daher auch verpflichtet sind, füreinander da zu sein, dass die Stärkeren den Schwächeren helfen sollten. Es ist ein Gefühl des Wohlwollens für alle Menschen, leider besitzen nicht alle Menschen eine empfindsame Seele. Die Schwächen des/der anderen zu fühlen und ihn/sie zu stützen statt ihn/sie stolpern zu lassen. "Es gibt eine gewisse Achtung und allgemeine Pflicht der Menschlichkeit, die uns verbindet, nicht nur mit den Tieren, die Leben und Empfindung haben, sondern sogar mit Bäumen und Pflanzen. Dem Menschen sind wir Gerechtigkeit schuldig, Milde und Wohlwollen aber den anderen Geschöpfen, gegen die man milde und wohlwollend sein kann." (Michel de Montaigne (1533-1592), französischer Philosoph und Essayist). 

Helga König: Welchen Stellenwert hat für Sie, lieber Vladyslav Sendecki, Fairness im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Ihren Musikerkollegen? 

 Vladyslav Sendecki
Vladyslav Sendecki:  Ich bin sehr empfindlich, was das betrifft. Ich fühle mich unter Egomanen, Narzissten, Bluffern, Angebern und Betrügern stark unwohl ... Ich versuche solche "Personalities" zu vermeiden. Zur Fairness gehört Souveränität, Kollegialität, Unterstützung, angenehm und geschäftlich aufrichtig zu sein,  zumindest meiner Meinung nach. 

Helga König: Sie schreiben in Ihrem Text "Der Kreidekreis", dass sie als junge Frau mit der damals 94 Jahre alten Schauspielerin Erna Nitter auf der Bühne gestanden haben. Ist man in Ihren jungen Jahren respektvoller mit älteren oder gar alten Schauspielern umgegangen als heute und falls ja, woran könnte das gelegen haben? 

Angélique Duvier: Erna Nitter war eine bezaubernde Person, sie war nur an Jahren alt, nicht im Herzen, sie war neugierig und verspielt, sie war ein wenig eitel und kokettierte gern. Durch sie habe ich gelernt, dass nur der menschliche Körper altert, nicht aber die Seele. Vor einigen Tagen besuchte ich meine 95-jährige Tante im Krankenhaus, ich brachte ihr einen kleinen Teddybären mit, sie freute sich darüber wie ein Kind. Alte Schauspieler/innen haben uns Lebenserfahrungen voraus, das heißt, ihre Gefühlspallette ist stark angefüllt. Ich war immer ein neugieriger Mensch und fragte schon als junge Schauspielerin meine älteren Kollegen aus, konnte ihnen stundenlang zuhören, wenn sie mir von ihren Bühnenerfahrungen erzählten, oder über ihr Leben und habe mich stets zu älteren Menschen hingezogen gefühlt. Kein Verständnis habe ich dafür, dass älteren und alten Schauspielern kaum noch Rollen angeboten werden, dass alte Menschen von jüngeren, "älter geschminkten" Schauspielern dargestellt werden. Dieses betrifft überwiegend Frauen. Dabei bin ich sicher, dass das Publikum gern die alten Darsteller/innen auf der Bühne und im Fernsehen sehen würde. Es macht mich ehrlich gesagt traurig. 

Helga König: In Deutschland sind inzwischen über vierzig Prozent der Privatwohnungen Single-Haushalte. Ist die Vereinzelung ein typisches Phänomen des Westens oder sieht dies in Polen mittlerweile ganz ähnlich aus?

Vladyslav Sendecki: Ich habe keine Ahnung, wie es in Polen ist, da ich seit beinahe 40 Jahren nicht mehr dort lebe. Tatsache aber ist, da jeder seinen Arbeits- und Lebensrhythmus hat, könnte das Zusammenleben unter einem Dach einige Probleme verursachen. Ich denke, in Deutschland will man es einfacher und unbeschwert haben. Es wird weniger emotional und mehr geplant, in Polen (mein Gefühl) gibt es eben weniger Planung, mehr Emotion, gemeckert wird dann ein Leben lang und die Familie ist immer eine Selbstverständlichkeit, noch ... ich denke, es wird sich ändern.

Helga König: Wie verhält es sich mit der Gastfreundschaft der Polen im Verhältnis zur Gastfreundschaft der Deutschen auf Ihren beruflichen Reisen?

 Angélique Duvier
Angélique Duvier: Die Gastfreundschaft in Polen ist wirklich kaum zu übertreffen. Die Menschen sind herzlich und unglaublich aufmerksam. Polnische Männer sind den Frauen gegenüber sehr höflich, sie begrüßen und verabschieden sich mit Handkuss. Die Polen sind stolz und versuchen, ihre Gäste mit traditionellen Köstlichkeiten zu verwöhnen, dabei bieten sie alles auf was sie können, dieses geschieht entweder bei ihnen zuhause oder in einem Restaurant. Nun habe ich durch meinen Mann eine wundervolle Familie dazubekommen. Ich wurde von Anfang an mit sehr viel Liebe und Herzlichkeit aufgenommen. Meine Schwiegermutter ist ein so liebevoller und herzensguter Mensch, ich kenne kaum vergleichbare Personen. Mein Mann hat zum Glück sehr viel von seiner Mutter. Auch mein Schwager und dessen Frau sind Menschen, die man einfach lieben muss. Beide sind außerdem wunderbare Künstler.

Helga König: In welchem Land, das Sie als Pianist betreten haben, war man Ihrer Meinung nach am weltoffensten und wie äußerte sich dies?

Vladyslav Sendecki 
Vladyslav Sendecki: Schwer zu sagen, als Künstler bleibt mir vieles erspart. Ich gehe aber sehr gerne allein "auf die Straße", um "normalen" Menschen zu begegnen. Ich habe viel Glück, auf die Menschen relativ positiv zu wirken, so kommt es zu mir zurück ... Ich kann keinem Volk Weltoffenheit absprechen, Kleinkariertheit gibt es überall. Allerdings hätte ich mir z. B. in der Schweiz etwas weniger engstirnige Begegnungen gewünscht ... (ich meine Schwizerisch die "Stross oder Beiz") 

Helga König: Welche ethischen Werte sind Ihnen am wichtigsten und weshalb?

Angélique Duvier: Ehrlichkeit, Freiheit, Liebe, Achtung, Leidenschaft, Kreativität, Herausforderungen, Schönheit, gegenseitiges Verständnis, wechselseitige Unterstützung und Spiritualität, dies alles sind für mich ethische Werte, sie sind aber auch wichtig für ein gesundes Selbstvertrauen. Selbstvertrauen basiert auf Werten, die man besitzt, wie zum Beispiel das Selbstwertgefühl. 

Ich denke, wir alle haben ethische Werte, ob es uns bewusst ist oder nicht. Wir leben jeden Tag nach unseren Werten, nach Dingen, die uns wichtig sind, wie Liebe, Vertrauen oder Freiheit. Unser ethisches oder moralisches Bewusstsein ist nichts Statisches, da wir einer ständigen Reifung ausgesetzt sind, also hinterfrage ich häufig mein eigenes Handeln und Denken.

Helga König: Stimmt es, dass Künstler in der Regel weltoffener und liberaler sind als andere Menschen und falls ja, woran könnte das liegen?

Vladyslav Sendecki: Wahre Künstler denke ich, ja, aber leider lange nicht alle, die in künstlerischen Berufen arbeiten ... ich hoffe, ich werde verstanden. Wahre Künstler, ja ... Neugier, kreative und positive Begegnungen und Erfahrungen ... das inspiriert ... 

Helga König: Der indische Dichter Rabindranath Tagore sagte: "Wahre Liebe muss von innen her erweckt werden und nicht durch etwas Äußeres. Dienen kommt vor Eigennutz – das ist das Merkmal der Liebe." Stimmen Sie diesem Satz zu und glauben Sie, dass er in unserer narzisstischen Welt noch Gültigkeit hat?

 Angélique Duvier
Angélique Duvier: Absolut, gerade in unserer narzisstischen Welt sollte dieser Satz unbedingt noch Gültigkeit besitzen, und man kann ihn nicht oft genug aussprechen. Mich macht diese Eigensucht und Gier geradezu krank, daher ist es ein Grund für mich, mich von derartigen Menschen zu distanzieren und mich zurückzuziehen. Lieber verkrieche ich mich hinter guten Büchern, oder bringe einfach meine Gedanken in Gedichtform zu Papier, so kann ich mich ein wenig befreien und meinem Herzen Luft machen. 

Helga König: Worin liegt die Fähigkeit von Jazz-Musikern begründet, mit anderen Gemeinsames zu improvisieren?

Vladyslav Sendecki: An Kreativität, "Sprachkenntnissen", also die Musik, Lust am Austausch und Herausforderungen. Allgemein gesagt ... es ist ein Spiel, bei dem etwas entstehen kann. 

 Angélique Duvier, Vladyslav Sendecki
 Foto: Co. Duvier/Sendecki
Helga König: Frage an Sie beide: Welchen Stellenwert haben die sozialen Netzwerke für Sie beide als Künstler?

Angélique Duvier: Für mich bieten sich die sozialen Netzwerke als ideale Plattformen an, um auf mich als Künstlerin aufmerksam zu machen, im Gespräch zu bleiben und um zu sehen, was andere Künstler machen. Ich freue mich auch, wenn ich dadurch Kollegen, die ich aus den Augen verloren hatte, wiederfinde und neue kennenlerne. Außerdem werde ich durch die Netzwerke auf dem Laufenden gehalten, was es kulturell Neues gibt. Privates stelle ich nicht hinein, da mir meine Privatsphäre sehr wichtig ist, daher werde ich sicher nicht schreiben, wenn ich gerade einen Schnupfen habe und ein Foto meines Nasensprays posten. 

Vladyslav Sendecki: Facebook ist lustig. Schnelle Komunikation, das Wort, Bild ... es verkürzt die Wege ...

Liebe Angélique Duvier, lieber Vladyslav Sendecki, ich danke Ihnen beiden vielmals für das aufschlussreiche  Interview.

Ihre Helga König

Fotos aus dem Bestand von Angélique Duvier und Vladyslav Sendecki. Dort nach dem Namen der Fotografen fragen.


http://vladyslavsendecki.de/

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