Helga König im Gespräch mit Prof. Dr. André Niedostadek

Prof. Dr.  André Niedostadek
André Niedostadek ist Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht sowie Beauftragter für Internationales am Halberstädter Fachbereich. 

Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Münster und Aberystwyth (Wales) sowie einem Forschungsaufenthalt an der Universität Cambridge wurde er im Jahr 2000 mit einer Dissertation zum Thema "Der Rechtsschutz von Computerprogrammen in Großbritannien - Copyright Law und Patent Law" an der Universität Münster promoviert. Von 2001 bis 2008 war er zunächst in der Unternehmensberatung, als Rechtsanwalt sowie in verschiedenen Funktionen im Bankensektor tätig, bevor er an die Hochschule Harz wechselte. Klärende Konfliktlösungen, vor allem im Unternehmensumfeld, zählen aktuell zu seinen Arbeitsschwerpunkten.

Er hält einen Master of Law (LL.M.) im Gewerblichen Rechtsschutz und absolvierte zusätzlich Ausbildungen als Wirtschaftsmediator (Fernuniversität Hagen) sowie als Journalist (Freie Journalistenschule Berlin). Er ist unter anderem Mitglied der der Deutschen Gesellschaft für Mediation (DGM) und der Deutsch-Britischen Juristenvereinigung (DBJV). 

Daneben ist er im Herausgeberbeirat der Zeitschrift "Die Mediation" tätig und akademisches Mitglied im Scientific Committee der "Turin School of Local Regulation" (Italien).*

                                                                ***
Lieber Herr Prof. Dr. André Niedostadek, ich freue, dass Sie an unserem ETHIK- Langzeitprojekt "Interviews- Begegnungen mit Menschenfreunden im Netz" teilnehmen.  Hierzu nun einige Fragen an Sie:  

Helga König: Hat sich mitmenschliches Verhalten an den Hochschulen seit den Zeiten als Sie selbst Student waren verändert? 

 Prof. Dr. André Niedostadek
Prof. Dr. André Niedostadek: Oha, da starten Sie ja gleich mit einer schwierigen Frage. Mitmenschlichkeit ... Kommt vielleicht ein bisschen darauf an, was man darunter versteht. Ein Punkt ist wohl, dem Gegenüber wertschätzend zu begegnen. Gegebenenfalls auch zu unterstützen. Jedenfalls dort, wo es erforderlich und für einen selbst machbar ist. Ich finde nicht, dass sich da in den letzten Jahren an den Hochschulen etwas geändert hat. Gerade hier bei uns erlebe ich ein sehr aufgeschlossenes Miteinander und das auf allen Ebenen. 

Klar, ein paar Ausnahmen gibt es immer mal. Aber das sind Einzelfälle – oder Missverständnisse. Wenn sich etwas zu früher verändert hat, dann ist es eher die Rahmenbedingungen eines Studiums. Die Digitalisierung wirkt hier massiv. Aber das ist ein anderes Thema. 

 Helga König
Helga König: Was bedeutet Ihnen Fairness und wie leben Sie Ihren Studenten Fairness vor?

Prof. Dr. André Niedostadek:  Sie bleiben bei den schwierigen Begriffen, ja? Nun, Fairness hat aus meiner Sicht mit zweierlei zu tun: Es gibt Unterschiede. Und es gibt Spielregeln. Das zeigt sich im Studium deutlich, etwa bei Prüfungen. Leistungen sind unterschiedlich. Das muss man berücksichtigen. Einheitsnoten nach dem Gießkannenprinzip wären unfair. Da kann es natürlich vorkommen, dass sich jemand auf den Schlips getreten fühlt. Fair bedeutet hier für mich, die Maßstäbe, also die Spielregeln, transparent zu machen. Das klappt bislang auch ganz gut. Im Masterstudiengang bitte ich die Studierenden übrigens, ihre Leistungen selbst zu bewerten und zu begründen. Überraschenderweise gehen die Einschätzungen gar nicht so weit auseinander. Und was das Vorleben von Fairness betrifft: Dazu gehört natürlich auch, sich selbst an Spielregeln messen zu lassen. 

Helga König: Sie haben am 10. April 2018 folgenden Tweet verfasst: "Ehrlichkeit zahlt sich nicht aus - Wer Karriere machen will, sollte flunkern können. Ein bisschen geahnt hat man es ja doch irgendwie, oder?" Was haben Sie mit diesem Tweet bezweckt? 

  Prof. Dr. André Niedostadek
Prof. Dr. André Niedostadek: Der Tweet hatte keinen besonderen Zweck. Ganz ehrlich. Ich fand die Aussage aber spannend. Sie passt zu einem Thema, das mich aktuell beschäftigt. Eigentlich geht es um einen Klassiker: Die Widersprüchlichkeit von dem, was wir manchmal sagen und dem, was wir dann tun. Wir wollen ehrlich sein, sind es aber aus unterschiedlichen Gründen doch nicht immer. Oder ein ganz anderes Beispiel: Ich bin viel mit dem Zug unterwegs. Wahrscheinlich würde jeder zustimmen, dass man seinen Platz aufgeräumt verlässt. Das ist allerdings nicht immer der Fall, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Oder nehmen Sie die das Thema Soft Skills. In der Praxis oft beschworen, fällt das bei der Personalentwicklung vielfach hinten rüber. Es gibt auch Themen, die jetzt noch in aller Munde sind und vermutlich doch wieder schneller passé sind, als gedacht. Im Moment macht ja Agilität im Rahmen der Unternehmensführung die Runde. Ich lehne mich jetzt einmal aus dem Fenster: Da kräht bald kein Hahn mehr nach. Aber ich schweife wohl ein bisschen ab … 

 Helga König
Helga König: Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau, mit dem Sie sich ja intensiv befasst haben, sagte einst: "Eine schlechte Handlung quält uns nicht in dem Augenblick, wo wir sie begehen, sondern viel später, wenn wir uns ihrer erinnern." Womit hängt dies Ihrer Ansicht nach zusammen? 

Prof. Dr. André Niedostadek: Da müsste man mal Neurowissenschaftler fragen, wie das mit dem Erinnern funktioniert. Das weiß ich nicht. Aber es wäre sicher interessant, dazu mehr zu erfahren. Ich las kürzlich einmal etwas dazu, dass wir jeden Morgen als eine andere Person aufwachen, ganz einfach weil sich unsere Erinnerung verändert. Faszinierend, oder? Vielleicht liegt der Schlüssel aber gar nicht so sehr im Erinnern. Wir lassen uns oft einfach zu etwas hinreißen und reagieren nur noch. Das kennt ja jeder, der ein Smartphone hat. Das braucht ja bloß einmal zu blinken. Ohne Nachzudenken wird reagiert. Das lässt sich vielleicht auch auf schlechte Handlungen übertragen. Und die bereuen wir dann womöglich im Nachhinein. 

Helga König: Bleiben wir noch ein wenig bei Ihrem Freund Rousseau. Er sagte u.a. auch: "Der moralische Zustand eines Volkes ergibt sich weniger aus dem absoluten Zustand seiner Mitglieder als aus ihren Beziehungen untereinander." Wie könnte man, sofern Rousseaus Annahme stimmt, diese zwischenmenschlichen Beziehungen zügig verbessern? 

 Prof. Dr. André Niedostadek
Prof. Dr. André Niedostadek: Ich frage mal zurück: Steht es denn wirklich so schlecht um die zwischenmenschlichen Beziehungen? Muss man sie verbessern? Jeder von uns ist ja letztlich frei darin, die Beziehungen zu seinen Mitmenschen zu gestalten – oder eben nicht. Das gilt jedenfalls so lange, wie man sich wieder an bestimmte Spielregeln hält. Um aber doch Ihre Frage zu beantworten. Das soll jetzt keineswegs pessimistisch klingen, doch "man" wird gar nichts verbessern können. Zwischenmenschliche Beziehungen werden ja von derart vielen Faktoren bestimmt, dass sie sich ständig verändern. Letztlich bleibt nur, dass sich hoffentlich jeder an die eigene Nase fasst. Apropos Rousseau. Der hat ja – was damals nicht so unüblich war - seine eigenen Kinder ins Waisenhaus gegeben und sich trotzdem mit Erziehungsfragen beschäftigt. Wer gute zwischenmenschliche Beziehungen möchte, hat hoffentlich vom Elternhaus etwas mitbekommen. 

 Helga König
Helga König: Sie haben im März 2018 einen Tweet eines Ihrer Follower aus dem Jahre 2015 retweetet. Dieser lautet: "Frei in deinen Handlungen, bist du erst, wenn du nicht mehr aus Trotz handelst, sondern weil DU es willst." Rousseau formulierte einst: "Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will." Was bedeutet Willensfreiheit in ethischen Belangen? 

Prof. Dr. André Niedostadek: Was Sie alles finden … Ich finde ein Zitat von Viktor Frankl noch etwas treffender. Etwas verkürzt heißt es, dass zwischen Reiz und Reaktion unsere Freiheit liegt. Das ist oft ein sehr, sehr kleines Fenster. Dies in ethischen Belangen so auszufüllen, dass man ein Verhalten nicht später bereut, ist nicht einfach. Man kann da viel aus anderen Bereichen lernen, etwa der chinesischen Kampfkunst des Kung Fu. Sich zu beherrschen, ist dabei beispielsweise wichtig. Das könnte auch in ethischen Belangen hilfreich sein. Sich zu beherrschen lernen und das Reiz- und Reaktionsschema zu durchbrechen. Dann könnte sich ein einen Raum für Willensfreiheit eröffnen. Wenn es die denn überhaupt gibt. Das wird ja durchaus auch bezweifelt. 

Helga König: Worin sehen Sie den sittlichen Wert von Arbeit? 

 Prof. Dr. André Niedostadek
Prof. Dr. André Niedostadek: Da fasse ich mich mal kurz: Arbeit hat keinen sittlichen Wert. Zumindest sehe ich nicht, worin der liegen soll. 

Helga König:  Der nachstehende Gedanke von Sir Francis Bacon scheint Ihnen zu gefallen, denn Sie haben ihn zweimal gepostet : "Lesen bereichert den Menschen, mündlicher Gedankenaustausch macht ihn gewandt. Niederschriften verhelfen zu genauerem Wissen." Birgt Gewandtheit die Gefahr in sich, es mit der Wahrheit nicht mehr allzu ernst zu nehmen und ist sie damit keine wahre Freundin ethischen Handels? 

Prof. Dr. André Niedostadek: Na, überall sind doch Gefahren und Chancen, Licht und Schatten. Warum sollte es mit der Gewandtheit anders sein? Entscheidend bleibt ja, was man daraus macht. Man kann sie gebrauchen oder missbrauchen. That’s life. 

 Helga König
Helga König: Sie haben im Februar nachstehenden Satz des englischen Juristen, Philosophen und Sozialreformers Jeremy Bentham gepostet:  "Der Mensch vermehrt sein Glück in dem Maße, in welchem er es anderen verschafft." Möchten Sie dazu Näheres ausführen? 

Prof. Dr. André Niedostadek: Das hängt mit einem neuen Buchprojekt zusammen, in dem es tatsächlich um nicht weniger als das Glück geht. Anfang nächsten Jahres gibt es mehr dazu. 

Helga König: Welche Funktion haben die sozialen Netzwerke für Sie im Hinblick auf die Interaktion mit Ihnen bislang unbekannten Menschen? 

Prof. Dr. André Niedostadek: Offen gestanden bin ich bei den sozialen Netzwerken ein bisschen hin- und hergerissen. Einerseits kann der Austausch gerade mit unbekannten Menschen überaus inspirierend sein. Auch unser Kontakt kam ja so schon vor längerer Zeit zustande. Auf der anderen Seite kann man dort auch viel Zeit vertrödeln. Da haben wir es wieder: Reiz und Reaktion, Licht und Schatten. Irgendwie wiederholt sich alles.

Lieber Herr Prof. Dr. André Niedostadek, ich danke Ihnen vielmals  für das aufschlussreiche Gespräch.

Ihre Helga König

*Hochschule Harz
Foto: Profilfoto der Hochschule Harz 
https://www.jusmeum.de/mitglied/halberstadt/Andr_Niedostadek

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Helga König im Gespräch mit Dr. Gertrud Müller, Soziologin, Verhaltenswissenschaftlerin, Psychoonkologin

Liebe Gertrud Müller, Sie sind Soziologin, Verhaltenswissenschaftlerin, Psychoonkologin, und wurden in Philosophie an der LMU München zum ...