Helga König im Gespräch mit Andrea Wirsching, Winzerin des Jahres 2018 und Geschäftsführerin des renommierten Weingutes Hans Wirsching in Iphofen/Franken

Andrea Wirsching ist Historikerin und führt jetzt in der 15. Generation das renommierte Weingut Hans Wirsching in Iphofen/Franken. 2018 wurde diese Power-Frau vom Genussmagazin "selection"zur "Winzerin des Jahres" gekürt.  

Liebe Andrea Wirsching, ich freue mich, dass Sie an dem Ethik-Langzeitprojekt "Interviews- Begegnungen mit Menschenfreunden im Netz" teilnehmen. Dazu folgende Fragen an Sie: 

Helga König: Welchen Stellenwert hat für Sie Mitmenschlichkeit? 

 Andrea Wirsching
Foto: Ina Brosch
Andrea Wirsching: Mitmenschlichkeit ist für mich das Einzige, was zählt, auch wenn ich selbst diesem Anspruch nicht immer genüge. Ich bin Christ und als solcher glaube ich an die Liebe. Ich glaube daran, dass wir in der Freiheit, die uns geschenkt wurde, immer wieder die Möglichkeit haben, uns für einen liebevollen Umgang mit uns selbst, mit Anderen und auch mit der Schöpfung zu entscheiden. Das ist die große Würde des Menschen. Wir leben in einer Welt, in der sich viele dagegen entscheiden. Mit manchmal unerträglichen Konsequenzen. Auch wir selbst tun das. Aber wir haben die Zusage, dass wir immer wieder neu anfangen dürfen. Und als Christ auch den Glauben, dass wir nach dem Tod in dieser großen Liebe leben werden. Das trägt mein Leben. 

 Helga König
Helga König:Wie leben Sie Mitmenschlichkeit in Ihrem Weingut? 

Andrea Wirsching: Ich erwarte sie von mir und allen Mitarbeitern, spreche Defizite an und versuche, ein gutes Vorbild zu sein. Dazu gehört auch, mich bei eigenen Versäumnissen zu entschuldigen.

Helga König: Was bedeutet Ihnen Fairness ganz allgemein? 

Andrea Wirsching: Die goldene Regel, die für Alle gilt: "Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem Andern zu." 

Helga König:Wie wichtig ist Ihnen Fairness im Hinblick auf Ihre Winzerkolleginnen und –Kollegen und wie zentral im Hinblick auf Ihre Kunden? 

Andrea Wirsching: Im Bezug auf die Winzerkollegen bedeutet Fairness vor Allem "Gönnen können". Neid ist nicht umsonst eine Todsünde in unserer christlichen Tradition. Sich mit dem Kollegen über seine Erfolge freuen zu können, macht das Leben für uns Alle leichter und die Gemeinschaft am Ende erfolgreicher. Im Hinblick auf Kunden ist es wichtig, eine ehrliche Leistung zu bringen, authentisch und glaubwürdig zu bleiben. Heutzutage wird sehr viel gelogen – gerade im Internet. Die Generation meiner Kinder hat ein gutes Gespür für "fake news" und findet, Ehrlichkeit sei eine der wichtigsten Eigenschaften überhaupt. 

Helga König: Ist Ihrer Meinung nach ein nachhaltiger Umgang mit der Natur eine ethische Verpflichtung nachfolgenden Generationen gegenüber und wenn ja, weshalb? 

Andrea Wirsching: Wir können heute so gut leben, weil wir eine halbwegs intakte Natur und viele Ressourcen vorgefunden haben. Es zeugt von einem unglaublichen Egoismus, das Alles für sich zu nutzen und nur noch den Müll zu hinterlassen. Da gilt dann wieder die goldene Regel… Was wir hinterlassen, ist aber nicht nur Dreck und Gift, sondern auch ein grober Umgang miteinander, denn wir haben mit unserem Tun gezeigt, dass uns andere Menschen egal sind. Seien es die Länder, deren Ressourcen wir ausbeuten, oder die nächsten Generationen. Unser Verhalten ist unsere Botschaft.

Helga König: Welchen ethischen Anspruch haben Sie im Hinblick aufs Weinmachen? 

Andrea Wirsching: Wein ist ein Geschenk der Natur. Was wir tun, ist, dieses Geschenk zu kultivieren. Daher sind Dankbarkeit, der sensible Umgang mit dem Boden und den Pflanzen und eine ehrliche Arbeit im Keller unser Anspruch. 

Helga König: Welcher ethische Anspruch steht hinter Ihrem Engagement bei den "Vinissima-Frauen", deren Präsidentin Sie lange Zeit waren? 

Andrea Wirsching: Vinissima ist ein Netzwerk weiblicher Profis aus der Weinbranche, in dem es um das Miteinander und die gegenseitige Unterstützung geht. Immer mehr Frauen übernehmen Verantwortung in eigenen Betrieben, sind aber in einer überwiegend "männlichen Branche" noch in der Minderheit. Dazu kommen Frauen, die in Weinbaubetriebe einheiraten, aber eine andere Ausbildung haben. Vinissima organisiert Fach-Exkursionen, Weiterbildung und vor Allem viele Treffen, in denen sich die Weinfrauen austauschen können. Das macht Freude, stärkt und hilft konkret weiter. Eine Gemeinschaft, in der ein großer Vertrauens-Vorschuss gegeben wird, ist immer eine liebevolle Gemeinschaft. 

Helga König: Und welcher ethische Anspruch steht hinter Ihrem Engagement in der "Initiative Twin Wineries"? 

Andrea Wirsching: Die "Twin Wineries" wurden vor 10 Jahren von Renée Salzmann, einer deutschen Jüdin gegründet, die in Israel lebt. Nach dem Vorbild einer Städtepartnerschaft bilden sich "Twins" aus je einem deutschen und einem israelischen Weingut. Das Ganze ist gelebte Völkerverständigung. Unser "Twin" ist das Weingut "Kishor" im Bergland von Galiläa. Sie produzieren hervorragenden Wein und tun das Ganze in einem Kibbuz, in dem auch behinderte Menschen (sie nennen es "with special needs") mitarbeiten. Wenn ich diesen Kibbuz besuche, bin ich immer beeindruckt von der Lebensfreude der Menschen, die im Vergleich zu uns relativ bescheiden leben. Ich empfinde diesen Austausch als unglaublich bereichernd. Inzwischen war ich schon 4 Mal in Israel und meine Freunde auch hier bei uns. Wir lernen uns kennen und tauschen uns fachlich aus. Ich lerne viel darüber, mit unterschiedlich begabten Menschen zusammenzuarbeiten und auch viel über die Bewässerung, die wir hier brauchen. Meine Freunde interessiert unsere Vermarktung und die Produktion frischer Weißweine, die sie auf 600 m Höhe ja durchaus produzieren können. Für mich hat das ganze Projekt noch einen weiteren Aspekt. Ich finde es wichtig, als Deutsche die Existenz von Israel, die ja trotz der Gründung durch die UNO von vielen Staaten und einem neu aufkeimenden Antisemitismus in Frage gestellt wird, zu unterstützen und diese Freundschaft zu leben. Deswegen haben wir auch 2016 einen kosheren Silvaner produziert.

Helga König: Welche Tugenden sind für eine verantwortungsvolle Winzerin bzw. einen Winzer von besonderer Bedeutung? 

Andrea Wirsching: Winzer ist ein privilegierter Beruf wegen seiner Vielseitigkeit. Wir sind abhängig von und leben mit der Natur. Dazu braucht man Demut und Achtsamkeit. Zum Zweiten üben wir ein Handwerk aus, welches mit dem arbeitet, was in der Natur gewachsen ist und welches sich von Jahr zu Jahr verändert. Daher braucht ein Kellermeister Sensibilität und Geduld. Der dritte Aspekt bezieht sich auf den Menschen. Die Menschen, die zu uns ins Weingut kommen, kaufen nicht nur ein Lebensmittel, sondern Genuss, Kultur und Ästhetik, also Lebensfreude. Ein Winzer braucht Empathie und gute Kommunikation und die Bereitschaft, viele Stunden in den Verkauf zu investieren, also Fleiß und Disziplin. Die meisten Weingüter sind Familienbetriebe. Ich bin Glied in einer langen Kette von Generationen, nutze die Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen und gebe das Ganze dann in der Familie weiter. Ich muss also dienen können. Am Ende ist ein Winzer nur dann erfolgreich, wenn er nicht egoistisch ist, wenn sich nicht alles um ihn selbst dreht. So einfach ist das. 

Helga König: In "vino veritas" heißt auf Deutsch: "Im Wein liegt die Wahrheit." Welche Wahrheit vermuten Sie, könnte hier gemeint sein? 

Andrea Wirsching: "In Vino Veritas" – im Wein schmeckt man die Wahrheit des Wetters, des Weinbergs, des Handwerks und des guten Lebens. So mancher, der über den Durst trinkt, erzählt Dinge, die er nüchtern vielleicht anders formuliert hätte… Die Wahrheit ist aber auch, dass unser Leben in eine größere Dimension eingebettet ist und das spürt man, wenn man im Weinberg steht oder ein gutes Glas Wein trinkt. In diesem Sinne: zum Wohl!

Herzlichen Dank, liebe Andrea Wirsching für das aufschlussreiche Interview.

Ihre Helga König

Anbei der  Link zu  der Homepage des Weingut  Hans Wirsching:http://www.wirsching.de/

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