Helga König im Gespräch mit Imre Török, Prosaautor, Journalist, Dozent und Ghostwriter.

Lieber Imre Török, Sie sind Prosaautor, Journalist, Dozent und Ghostwriter. Auf "Buch, Kultur und Lifestyle" haben wir bereits zwei Gespräche miteinander geführt. Zuletzt haben wir über Ihren wunderbaren Roman "Die Königin von Ägypten in Berlin" gesprochen. In all Ihrem öffentlichen Tun lassen Sie erkennen, dass Sie ein Menschenfreund sind. Deshalb zunächst die Frage an Sie:

Helga König:Was bedeutet für Sie ein sinnstiftendes Miteinander?

Imre Török im Garten
Imre Török:  Menschenfreundlichkeit gestattet sich nicht immer einfach. Wir sind, ob wir es nun mögen oder nicht, darauf angewiesen, grundsätzlich miteinander auszukommen und Regelungen für ein friedliches Zusammenleben zu finden. Schillers Worte in "Wilhelm Tell" sind leider zu jeder Zeit der Menschheitsgeschichte aktuell: "Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt." Ohne Empathie, ohne Nächstenliebe würde die Spezies Mensch wohl nicht mehr existieren. Ein Miteinander unter Gleichgesinnten ist wunderbar, das Zusammenleben mit Andersdenkenden in einer globalen Welt aber unumgänglich. Das heißt natürlich nicht, dass wir "dem bösen Nachbarn" nah oder fern keine klare Kante zeigen dürften. 

Es fehlt in unserer Zeit meiner Meinung nach oft an Mut, kritisch und aber ebenso selbstkritisch Probleme im Zwischenmenschlichen – im Kleinen wie im Großen – anzugehen. Unter Freunden und mit Freude müssen wir uns gegenseitig bestärken. Wir benötigen einerseits eine viel stärker ausgeprägte Fähigkeit, uns in die Lage anderer hineinzudenken und hineinzuversetzen, was ich versuche. Andererseits ist unser Hang zum Egoismus oder gar zur Egomanie Gift für jedes Miteinander. Die Achtung der Interessen anderer sollte gleich viel Wert sein wie das eigene Wohlergehen. Solch "einfache" Wahrheiten sind ja nicht neu. Es kommt darauf an, sie unablässig mit Leben füllen zu wollen. Miteinander fällt nicht vom Himmel, sonder ist eine Frage ausgeprägter Empathie, gepaart mit Mut.

Helga König: Und als nächste Frage: Für wie wichtig erachten Sie Fairness?

 Imre Török beim Plakatieren für "Fairlag 
Imre Török:  Vor zehn Jahren war ich Mitbegründer des "Aktionsbündnisses für faire Verlage" (kurz "Fairlag"), dem mittlerweile rund 70 Autorenverbände im deutschsprachigen Raum angehören. Ein praktisches Beispiel für ein berufspolitisches Engagement für Fairness. Eigentlich tangiert bereits meine vorhergehende Antwort die wichtige Bedeutung fairen Verhaltens untereinander. Zwar können wir nicht automatisch Fairness erwarten, nur weil wir selber versuchen, fair zu sein. Trotzdem kommt es darauf an, um aus "Die Pest" von Albert Camus zu zitieren, "dass man sich ohne Unterlass überwachen muss, um nicht in einem Augenblick der Zerstreutheit dazuzukommen, einem anderen ins Gesicht zu atmen und ihm die Krankheit anzuhängen". Wir leben wohl in einer Zeit, die oft und vielerorts unfair ist wie die Pest. Epidemien muss man Einhalt gebieten. Das fängt mit einer gehörigen Portion Selbstdisziplin an. Vor drei Jahren hat mich eine seltene, schwere Krankheit ereilt. Anscheinend irreparabel. Ich weiß schon (lacht), wovon ich bei Selbstdisziplin im Zusammenhang mit Fairness spreche.

 Helga König
Helga König: Sie haben vor einigen Tagen auf Facebook gepostet: "Nationalismus Ich kritisiere nie Menschen aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit. Gleichwohl kritisiere ich völkische, nationalistische, rassistische Gesinnung bei jedem Menschen, egal welcher Volkszugehörigkeit. Nationalismus in seinen diversen Ausformungen bis hin zum Rassenwahn ist der sichere Todesbote der Zivilisation. Nationalismus ist nämlich nicht Heimatverbundenheit, sondern stets ein Minderwertigkeitskomplex mit enormem Gewaltpotenzial.“ Worin besteht die Hauptschwierigkeit, Menschen klar zu machen, dass "Nationalismus in seinen diversen Ausformungen bis hin zum Rassenwahn der sichere Todesbote der Zivilisation"“ ist?

Imre Török: Die große Schwierigkeit liegt in der Tradition und in bornierter Engstirnigkeit. Menschen werden, in unserer Zeit wieder exzessiv, dazu erzogen, ihre Nation als über andere Völker stehend zu begreifen. Politische Führer nutzen althergebrachte Schutzbedürfnisse von Menschen perfide für den eigenen Großmachtwahn aus. Propaganda – zeitgemäß gesagt Fake – ist seit jeher ein verfängliches und grauenhaftes Instrument, Leute bis hin in den Rassenwahn zu treiben. Es ist dabei besonders schwierig, der traditionellen und nicht ganz unbegründeten Furcht vor Expansionsdrang und Imperialismus ein Modell neuen Denkens entgegenzusetzen. Das alte Modell, sich auf eigene "Stärken" als Nation zu verlassen, führt zwar immer wieder zu humanitären Katastrophen. Doch "der Mensch" scheint schwer etwas Neues lernen und begreifen zu wollen, wenn das seinen uralt verinnerlichten Denkstrukturen widerspricht.

Ich bin ja in Ungarn geboren und aufgewachsen, fühle mich meiner ersten Heimat nach wie vor verbunden. Nationalistische Strömungen dort jedoch widern mich an. Ähnlich ergeht es mir mit der Türkei, wo ich zeitweilig gern gelebt habe und gute Freunde habe. Extrem nationalistische Entwicklungen und Vorgehensweisen in der Innen- und Außenpolitik Ankaras erschüttern mich maßlos. Ich kann nur grundsätzlich hoffen, dass wir nicht noch mehr und fürchterlichere völkische Eruptionen weltweit erleben müssen, um zu begreifen, dass Nationalismus für uns alle eine tödliche Gefahr darstellt. 

Helga König: Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff "prosperierende Zivilisation" lesen und woran, wenn Sie den Begriff "Kultur" damit in Zusammenhang bringen wollen? 

 Imre Török im Garten
Imre Török:  Kulturelles und Künstlerisches können und müssen ein Korrektiv sein. Zivilisation ist nicht per se eine positive Entwicklung. Sie ist seit jeher auch mit Kriegen, Grausamkeit und Vernichtung verbunden. Besonders sympathisch sind mir jene Kulturschaffenden, die mit ihrer Arbeit darauf hinweisen, dass Zivilisation nicht allein auf technisch und ökonomisch Machbare gründet. Kreativität, Inspiration, Schönheit, Empathie sind unabdingbare Bestandteile der Zivilisation, wenn diese nicht allein dem fragwürdigen kalten Kalkül von Prosperität dienen soll. Künstlerisches, ob professionell oder hobbymäßig ausgeübt, müssen Herzschlag und Geisteshaltung unseres Miteinanders sein,
bevor wir tatsächlich von Zivilisation sprechen dürfen

 Helga König
Helga König: Ludwig der XIV. nannte seinen Gärtner Le Nôtre einen glücklichen Menschen, weil dieser Paradiese gestaltete, sich an Blumen erfreuen, zugleich jedoch auch anderen damit Freude schenken konnte. Lieber Imre Török, Sie posten neben Ihren intellektuellen Anliegen auch immer wieder wunderschöne Blumen aus Ihrem Garten in die sozialen Netzwerke. Macht Sie der Gedanke glücklich, anderen damit Freude zu schenken? 

Imre Török:  Macht Glück, allein erlebt, tatsächlich glücklich? Oder ist es vielmehr so, dass wir Glück gern teilen und mitteilen mögen? Seit Kindertagen fühle ich eine innige Verbundenheit mit der Schönheit der Schöpfung. In der Flora offenbart sie sich mir auch in einem spießenden Keim, in einem Grashalm oder in einem alten, knorrigen Baum. Blumen dürfen Schönheit attraktiver als andere Wesen der wundervollen Pracht pflanzlicher Natur zur Schau stellen. Sagen wir es so: Naturphilosophische Betrachtungen, eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der uns umgebenden Natur, sind eine Seite der Medaille. Eine stille, wortlose Betrachtung des Wachsens und Werdens ist mindestens ebenso inspirierend. Interessierte Menschen mag ich an beider Art Glückssuche teilhaben lassen. Ja, es macht mir Freude, Freude zu bereiten. 

Helga König: Sie haben dieser Tage auf Twitter ein wichtiges Zitat von Nelson Mandela gepostet: "Democracy and human rights are inseparable. We cannot have the one without the other" . Was bedeutet Ihnen der Inhalt dieses Zitates? 

 Imre Török
Imre Török:  Mandela gehört zu den Menschen, deren politische und moralische Haltung mich stets sehr beeindruckt hat. Der Kämpfer gegen Apartheid, gegen Rassismus musste für 27 Jahre als politischer Gefangener ins Gefängnis. Umso bewundernswerter, dass er nach seiner Freilassung keine Rachegefühle hegte, sondern seinem Land als Versöhner und als Präsident aller Demokraten diente. Sein politisches Leben ist ein Beispiel dafür, dass Demokratie und Menschenrechte nur Hand in Hand funktionieren. Ich wünschte mir in vielen Ländern, dass anstelle der Trumps, Putins, Erdoğans, Assads – und wie die Staatsverbrecher alle heißen – jemand wie Nelson Mandela die Geschicke der jeweiligen Länder beeinflussen könnte.

Helga König: Wie wichtig sind die Gedanken des Philosophen Ernst Bloch, dessen Schüler Sie waren, für Ihr eigenes Denken und mitmenschliches Verhalten noch heute? 

 Imre Török bei einer Ernst-Bloch-Veranstaltung:
"Ich bin. Aber ich habe mich nicht.
Darum werden wir erst."
Imre Török: Zu der Frage führen wir mal ein eigenes ausführliches Gespräch. (lacht) Aber kurz – dass trotz des Grauens, der Gewalt und manchmal der Hölle auf Erden so etwas wie Prinzip Hoffnung existiert, zu dieser Art des Denkens hat mich Ernst Bloch in seinen Seminaren und Büchern entschieden motiviert. Wie viele in unserer Zeit bin auch ich oft voller Befürchtungen, was die Zukunft anbelangt. Meine vehemente Kritik am Faschismus und an jede Art faschistoidem Denken und Handeln, meine grundsätzliche Ablehnung des Nationalismus und die Warnung vor dem "Sturz in die Barbarei", wie Bloch es formuliert hat, sind nachhaltige Prägungen aus meiner Studentenzeit.

Meine philosophische Beschäftigung mit Hoffnung, Zukunft, moderner Physik oder dem ästhetischen Vorschein greift nach wie vor auf Professor Bloch zurück. Bei dem Thema Zukunft, wie sie in unsere Welt kommt und wie sie universelle Existenz beeinflusst, habe ich später eigene Überlegungen entwickelt. Man wird sagen, die Gegenwart schreite in die Zukunft bzw. beeinflusse sie – und nicht umgekehrt. Das alles ist jedoch grandios viel komplexer und wechselwirkender. Ich habe es damals Mitte Zwanzig gar nicht begriffen, welches Glück mir wiederfahren war, diesem Philosophen zu begegnen. Also ließ ich mich von der Zukunft an die Hand nehmen. Aber wie anfangs gesagt, das Thema ist buchfüllend. Jedenfalls bin ich mir sehr sicher, dass Hoffnung mehr als nur menschliches Hoffen ist und seit dem Anfang des Universums existiert. Als Negentropie – das ist sehr verkürzt die Umformung von Chaos. Alles Werden des Lebendigen basiert darauf. Von dieser Hoffnung sollten wir uns stärker leiten lassen.


Helga König: Sie retweeten auch immer wieder Posts von Amnesty international. Welche Bedeutung hat diese Organisation für Sie und weshalb sollten andere Follower deren Posts ebenfalls retweeten?

 Imre Török mit Aslı Erdoğan und
der Präsidentin des deutschen PEN Regula Venske 
bei Amnesty.
Imre Török Amnesty setzt sich weltweit ganz uneigennützig und eindeutig klar für Menschenrechte, gegen Folter oder gar Hinrichtungen von Regimegegnern ein. Als ehemaliger Bundesvorsitzender des VS habe ich eng mit Amnesty zusammengearbeitet, kenne, schätze und unterstütze das Engagement dieser Menschenrechtsorganisation. Wir können es Machthabern, die Menschenrechte in ihren Ländern mit Füßen treten oder sogar mit Waffengewalt gegen Freiheitsstreben vorgehen, nicht mit gleicher Münze heimzahlen. Aber Machenschaften in Unrechtsstaaten der Welt vor Augen zu führen, sich für Freilassung politischer Gefangener einzusetzen, das muss ein oberstes Anliegen von Demokraten sein. Zu Ihrer Anfangsfrage: Solidarität mit politisch Verfolgten, mit Opfern von Willkür z. B. ist ein sinnstiftendes Miteinander. Noch nicht lange her habe ich an einer Amnesty-Veranstaltung in Frankfurt mit der in der Türkei verfolgten Schriftstellerin und Physikerin Aslı Erdoğan teilgenommen. 

 Helga König
Helga König:  Was ist Ihre größte Bitte an Ihre Mitmenschen?

Imre Török:  O, welch wunderbar schwierige Frage. Hm. Die größte Bitte will mir auf Teufel komm raus nicht einfallen. (schmunzelt) Aber eine große Bitte wäre, Humor und Lachen im Leben, trotz vieler Rückschläge, nicht zu verlernen. Humorlose, verbissene Kämpfer haben es nicht nur schwerer, sie werden auch schnell alt und hässlich. (lacht laut) 

Helga König: Worauf sollten die User in den sozialen Netzwerken Ihrer Meinung nach besonders achten?

 Imre Török im Garten
Imre Török:  Die Antwort steckt fast schon in der Frage, nämlich auf Achtsamkeit. Natürlich verspüre auch ich bei manchen Posts oder ekelhaften Kommentaren ein Verlangen, da mal so richtig reinzugrätschen. Es bringt nichts bzw. sollte man auch in solchen Fällen nur klar und vernünftig argumentieren. Wenn überhaupt… Kann man mit Menschen frei diskutieren, die Unfreiheit verherrlichen? Andere Posts, auch wenn sie nicht der eigenen Meinung entsprechen, verdienen die gleiche Achtsamkeit, wie man sich selber Achtsamkeit von anderen wünscht. 

Lieber Imre Török, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.

Ihre Helga König

 Bitte klicken Sie auf den Link, dann gelangen Sie zur Website von Imre Török: http://www.imre-toeroek.de/

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