Helga König im Gespräch mit Daniel Landau, Betreiber der Website "Daniel Landau bloggt - tachles reden, und dabei keine Ruhe geben, bis jedes Kind Zugang zu besserer Bildung hat".

Lieber Daniel Landau, Sie sind ausgebildeter Dirigent, Magister der Betriebswirtschaftslehre, Diplompädagoge für Musik und Mathematik, Gastronom sowie Bildungsmensch und leben in Wien. Als sozial sehr engagierter Mensch haben Sie mehrere Bildungsinitiativen gegründet und betreiben u.a. die Webseite "Daniel Landau bloggt - tachles reden, und dabei keine Ruhe geben, bis jedes Kind Zugang zu besserer Bildung hat".

Helga König: Was bedeutet für Sie Mitmenschlichkeit?

 Daniel Landau
Daniel Landau: Mitmenschlichkeit - das heißt für mich zu aller erst, sorgsam aufeinander zu achten, mit den nächsten so umzugehen, dass deren Würde zu keiner Zeit angetastet wird, diese jedenfalls intakt bleibt. Sie beginnt ja in Wahrheit damit, andere überhaupt einmal wahrzunehmen, auch genauer hinzusehen. Und Mitmenschlichkeit hat bei mir auch sehr stark damit zu tun, bei vorhandenem Unrecht auch nicht wegzusehen, sondern klar und bestimmt darauf hinzuweisen, alles zu unternehmen, damit dieses Unrecht nicht länger anhält. ich weiß, das klingt alles nach sehr viel, fast unmenschlich viel vielleicht. Aber ich denke tatsächlich, jede und jeder kann im Umfeld etwas bewegen, egal wo man herkommt, egal wo immer man sozusagen gerade steht. Zu Hause assoziierten mein Bruder und ich als Kinder das auch damit, mit sich auch selbst im reinen zu bleiben, wenn Sie so wollen, sich abends auch selbst in den Spiegel schauen zu können. Niemals selbstgefällig und laut, sondern still, und auch im Bewusstsein, Mitmenschlichkeit, oder auch Hilfe, das war vielleicht nicht immer erfolgreich, aber man hat es zumindest versucht, man hat sich ehrlich bemüht, sich auch dabei durchaus angestrengt. So in etwa ;) 


 Helga König
Helga König: .… und was verstehen Sie unter einem sinnstiftenden Miteinander?

Daniel Landau: Das sinnstiftende Miteinander, hm, das hängt natürlich auch sehr stark mit dem oben zusammen - aber ich möchte es gerne noch um eine Dimension erweitern. Vom ich ins Du kommen, das heißt ja auch, einander gut, aufmerksam, also aktiv, zuhören zu wollen und zu können. Und gute Bildung, besser erfolgreich für jedes Kind, scheint mir hier ein geeignetes Beispiel. Sinnstiftung beginnt hier damit, dass wir Pädagog_innen zuerst zuhören und beobachten sollen. Das Kind sozusagen möglichst intensiv erfahren. Dabei finde ich es besonders wichtig, das Kind im Erfolg, im Talent zu bestärken, darauf zu achten, dass das Kind sich selbst vertrauen kann, erlebt, wo die Stärken sind. Dies hängt (wiederum pädagogisch) auch damit zusammen, ein Umfeld bereitzustellen, dass möglichst breite Erfahrungen, sozusagen bunteste Erfolge auch ermöglicht. Erst dann kann und soll es darum gehen, das Kind dabei zu bestärken, immer wieder leicht unterschiedliche Wege zu bestreiten. Sich auch auf unbekanntes Eis zu begeben. Auch dort, wo man Defizite hat, aufzuholen. Weil Kinder auch lernen, dass Anstrengung zumeist lohnt. Dabei beteiligt zu sein, wenn sich Menschen (groß oder klein) neue Horizonte und Möglichkeiten erarbeiten, das beschreibt für mich persönlich den Wert sinnstiftendes Miteinander vielleicht hierbei am besten. 

Helga König: Des Weiteren: Was können wir tun, damit alle Menschen eine faire Startchance ins Leben erhalten?

  Daniel Landau
Daniel Landau: Manche Kinder starten ihr Leben sozusagen ein paar Meter hinter der Startlinie. Und aus den verschiedensten Gründen haben einige mehr bis zum Eintritt in die erste Bildungsinstitution, dem Kindergarten, noch ein paar Meter Rückstand dazu erworben. Ich erwarte sowohl von einer Gesellschaft im allgemeinen, als auch von Kindergarten und Schule im besonderen, hier einen gewissen Ausgleich zu schaffen. Dazu vorweg, ganz klar, "alle gleich" ist an dieser Stelle ein völliger Unwert. Und ich denke, wer hier manchen Gruppen dies in der Jetztzeit noch als vermeintliches "Ziel" unterstellt, der tut dies auch schlicht aus böser Absicht. Alle gleich, ich denke, das will niemand. Der zweite wichtige Punkt vorab, es wird auch keinem noch so guten Bildungssystem alleine gelingen können, diese oben beschriebenen paar Meter Rückstand, bereits an der Startlinie, völlig aufholen zu können. Was ich aber erwarte, ist - und andere Länder sind hier durchaus wesentlich erfolgreicher - dass das Bildungssystem diese vorhandenen Lücken zumindest kleiner macht. 

In Österreich aber, da wächst dieser Rückstand eher. Was hier primär zu tun wäre, ist den meisten relativ klar. Das meint unter anderem zB die Finanzierung von Bildung. In einigen Ländern bzw Regionen wird Bildung zusätzlich über einen sogenannten Sozialindex (bzw Chancenindex) finanziert. Dies meint kurz gefasst ein Umdenken, weg von der Gießkanne. KG und Schulen in Regionen, wo eher Kinder aus finanzschwachen Haushalten (einer der Indikatoren) leben, bekommen hier etwa deutlich zusätzliches Geld für Personal oder auch zB für Sachmittel. Ganz allgemein vielleicht noch ergänzt, Bildung gilt in Österreich als besonder stark vererbt. Was in einem Fall positiv ist (einige Eltern können ihren Kindern besonders viel weitergeben, was ihnen auch niemand nehmen will!), das führt im negativen Fall dazu, dass Kinder armer Eltern selbst höchst armutsgefährdet sind, Aufstieg via Bildung wesentlich schwerer schaffen als in anderen Ländern.

Zwei Punkte, die gegen diese Vererbung wirken, werden hier in der Wissenschaft genannt. Erstens, Kinder sollen besser durchmischt und wesentlich länger gemeinsam unterrichtet werden. Zweitens, Schulen, die als gut durchmischter Ganztag (also bis in den mittleren Nachmittag) geführt sind. Diese "Schule ohne Schultasche" übernimmt damit auch mehr Verantwortlichkeit fürs Lernen. Jetzt hängt es oft an den Eltern, können sie selbst helfen, oder können sie Nachhilfe zukaufen. Die Hauptursache für die Vererbung. 

  Helga König
Helga König: Auf Ihrem Blog schreiben Sie, “Gelingende Bildung für jedes Kind ist wichtiger Grundbaustein für funktionierendes Zusammenleben, für eine gemeinsame, bessere Gesellschaft.“ Können Sie an dieser Stelle näher erklären, was Sie unter einer gelingenden Bildung verstehen?

Daniel Landau: Nun, gelingende Bildung meint für mich zu aller erst die angeborene Neugier und Lernlust als höchstes Gut und längstens möglich zu erhalten, im Idealfall sogar auszubauen. Was auch immer die Lehr- und Lerninhalte sind, darüber lässt sich ewig und trefflich diskutieren (sollte man übrigens auch mehr), aber eines ist klar: Kinder und ältere Menschen werden ihr ganzes Leben hindurch lernen, neue Erfahrungen machen. Das sollen sie auch. Und dafür wünsche ich mir neugierige und leistungswillige Menschen, die auch etwas erreichen wollen - und dabei die notwendige Selbstsicherheit, Selbstreflexion und auch Selbstsicherheit haben. Menschen mit großer Lust auf Bildung. Wie wir das bei den Allerkleinsten nahezu grenzenlos erleben. All dies ständig und zuvorderst bereits im Kindergarten und der Schule im Auge zu haben, dies zu aller erst bedeutet (dann besser) gelingende Bildung. Zugleich muss endlich und schleunigst ein Prozess in Gang gesetzt werden, wo sich politik- und interessenübergreifend Menschen darüber klar werden, was unsere Kinder an bestimmten Punkten (jetzt wäre das wohl etwa im Alter von 6, 10, 14/15, 18) auf alle Fälle gelernt und erfahren haben, was sie wissen und können sollen. Diese Ziele von Bildung gehören neu überdacht und festgelegt. Und zwar im denkbar breitesten Diskurs!

Helga König: Sollte an Schulen endlich auch Herzensbildung gelehrt werden und wenn ja, welche Unterrichtsinhalte müsste ein solches Fach beinhalten?

  Daniel Landau
Daniel Landau: Herzensbildung, wie Glück, ist, denke ich, nicht als eigenes Fach zu leben. Aber es sollte als Kulturprinzip in unsere Gesellschaft natürlich auch in allen Kindergärten und Schulen besser und fester verankert sein. Konkret geht es hier um Inhalte, die ich versucht habe bei den Punkten 1) bzw 2) anzuschneiden. Zuhören können z.B,, dies lässt sich natürlich in den Schulen auch aktiv üben, lässt sich als Haltung von den Pädagog_innen und auch untereinander einfordern. Dies, wie auch z.B. Empathie, also die Fähigkeit sich auch in andere hineinfühlen zu können, lässt sich zum Beispiel wunderbar an Hand von politischer Bildung erörtern, kann gut in Deutsch oder Religion thematisiert und gelebt werden. Aber selbst bei mir, also in meinen Fächern Musik und selbst in Mathematik - ich erinnere mich gut an manche Fragen über Gerechtigkeit an Hand von Benotungen bzw dem wertschätzenden Feedback an meine Schüler_innen. Eine Art des sorgsamen Umganges miteinander, den ich von ihnen einmahnte, den man aber zu aller erst dann auch selbst vorleben muss.
  Helga König

Helga König: Können Sie uns ein wenig über die von Ihnen ins Leben gerufenen Bildungsinitiativen berichten?

Daniel Landau: Bildungsinitiativen, ein schwieriges Feld. Nun, einige der Bildungsinitiativen, die ich mitgründen durfte, die ich auch teilweise leitete, die gibt es heute nicht mehr, oder sie gingen einen anderen Weg, wurden ruhiger. Das wäre auch okay, wenn es ihrer sozusagen nicht mehr bedürfte, aber das Gegenteil scheint der Fall. Die wunderbare Initiative "Bildung Grenzenlos" etwa, geleitet von Heidi Schrodt und Erwin Greiner, die ist so ein Fall. Immer wieder betonen sie, sie gründeten diese Initiative eigentlich auch mit der Perspektive, sie hoffentlich nach ein paar Jahren wieder auflösen zu können, weil das Ziel erreicht wäre. Nun, das aber war vor bald 15 Jahren. Mit den diversen Initiativen, offen gesagt, ist das so eine Sache. So wichtig jede davon war und ist, so sehr merkt man auch ein österreichisches Spezifikum, nämlich dass ein relativ kleiner Kreis von enorm engagierten Menschen immer wieder nur in unterschiedlichen Initiativen zusammenkommen, in manchmal nur wenig geänderter Zusammensetzung.

Was mir an der Stelle fehlt, ist auch hier das bereits oben angesprochene breitere Miteinander. Teilweise scheint auch hier eine Art von Konkurrenz vorzuliegen, die breitere Allianzen und ein gemeinsames Vorgehen eher behindert als unterstützt. Zugleich ist das öffentliche Bildungssystem dermaßen stabil und starr, seit 100 Jahren in dominierender Interessenshand weniger Player (politischer Parteien und Gewerkschaften, teillweise Verbände), dass es kaum wirklich starke Bewegungen gab oder gibt. Als klare (mir bekannte einzige) Ausnahme seien hier ausdrücklich die siebziger Jahre unter Bruno Kreisky genannt. Aus meiner Sicht bildungspolitische Meilensteine.

Helga König: Wie lassen sich Ihrer Meinung nach schichtenspezifische Sprachbarrieren am raschesten beheben?

  Daniel Landau
Daniel Landau: Die beste Möglichkeit, die verschiedene Sprache (und auch soziale Unterschiede) zu "überwinden", besteht darin, Kinder und Jugendliche vermehrt, und wie gesagt, auch wesentlich länger als nur bis zum 10.Lj, miteinander zu unterrichten. Kinder speziell lernen jede fremde Sprache zumeist enorm schnell. Angemerkt, man darf dabei auch nicht übersehen, dass Deutschkenntnis und Herkunft keineswegs immer korrelieren. Es gibt Kinder, die erst ein paar Jahre im Land sind, und herausragendes, akzentfreies Deutsch sprechen. Zugleich jene, die obwohl quasi seit zwölfzig Generationen in Österreich sind (also ewig, teils seit hundert oder mehr Jahren), aber heutzutage enorme Sprachmängel haben. Ansonsten ist hier die Wissenschaft relativ klar. In Kindergartengruppen wie Klassen wo kaum Deutsch beherrscht wird, brauchen wir wesentlich mehr und qualifizierte Menschen zur Unterstützung. Da braucht es eindeutig viel mehr Sprachinputs, also weit mehr zusätzliche - und zugleich höchst professionelle - Vermittlung der Sprache.
  Helga König

Helga König:  Wodurch wird Kindern Ihrer Meinung nach die natürliche Lernbereitschaft und Neugierde genommen?

Daniel Landau: Neugier und Lernlust wird vor allem geraubt, wenn Kinder zurückgewiesen werden, wenn sie entmutigt und enttäuscht, womöglich gar beschämt, werden, wenn sie das Vertrauen verlieren - und zwar zu aller erst in sich selbst. Davon gut zu unterscheiden, und ja nicht zu verwechseln, ist, dass Schule natürlich auch Scheitern bearbeiten kann und soll. Irrtümer und Scheitern sind (wie auch Widerspruch für uns Pädagog_innen!) hervorragende Lehrmeister - aber gerade bei den Kleinsten gehören sie sehr sorgfältig begleitet. Geschieht das nicht, lässt man Kinder an dieser Stelle alleine, dann verlieren sie bald ihre Lernlust. Dies steht sogar noch vor der "Sinnfrage", also in wie weit gelingt es, Bildung auch in einen möglichst nahen Realitätsbezug zu bringen, mit "Sinn" zu belegen) (ich bin eh schon so lange :) - aber an der Stelle wäre es noch wichtig, nicht alles kann und soll unmittelbar "Sinn" machen - Schule soll auch viel mit Schönheit oder Muße zu tun haben, also nichts, was wir sofort mit "Sinn" assoziieren würden, mir aber dennoch auch sehr wichtig scheint!) Genauso können Kinder sehr rasch Regeln begreifen und auch akzeptieren lernen. Was jedoch hilft ist, sie beim Gestalten und Implementieren dieser Regeln auch mit einzubeziehen, ihre Meinung genauso und auf Augenhöhe zuzulassen und zur Kenntnis zu nehmen. Kinder sind m. E.  als jene bereits völlig vollwertigen Menschen zu behandeln, die sie ja auch sind. Wenn sie auch im Kindergarten und der Schule andere Rollen, andere Aufgaben zu übernehmen haben, sie sind jedenfalls um nichts weniger wert. Hier verweise ich sehr gerne an den großen Pädagogen Janusz Korczak, der mir hier in vielem ein großes Vorbild ist.

Helga König: Sie schreiben, Sie möchten allen Menschen die Möglichkeit geben, sich selbst und einander mit Hilfe von Kunst ein wenig näher kommen zu können. Insofern sollte demnach Theater zu spielen, zu musizieren, sich gestalterisch auszudrücken ein Ziel sein, das es zu erreichen gilt. Wie möchten Sie das praktisch umsetzen?

  Daniel Landau
Daniel Landau: Ich fordere seit langem, in allen Schulen auch Theater als Freifach zu ermöglichen. Beginnen würde ich auch hierbei vor allem bei jenen Schulen, wo dies Eltern unmöglich selbst ermöglichen können. Theater, Applaus, das macht etwas mit Menschen. Genauso auch, wie es einen Unterschied macht, ob ich gelernt habe, vor vielen Menschen laut und klar zu sprechen, oder dass ich warten muss, bis andere ausgesprochen haben, auch angehalten bin, Gefühle auszudrücken, meine eigenen damit auch reflektieren muss... Theater - und ich erlebte es schon in einigen Schulen und Gruppen - kann wunderbares bewirken. Das meint noch nicht einmal große Stücke der Weltliteratur, das beginnt schon bei kleinen Übungen, der Improvisation, der Ausbildung von gesunden Stimmen oder (auch hier) der Sprachentwicklung (!) sowie dem Umgang mit dem eigenen Körper - und eben auch mit den Gefühlen, der Umgang mit anderem, mit dem "Du"! Hier breit und wesentlich mehr gut ausgebildete (Theater)Pädagog_innen und viel mehr Mittel zur Verfügung zu stellen - ich denke, das würde in einigen Fällen wesentlich mehr bewirken, als viele andere Maßnahmen der Vergangenheit oder der jüngsten Gegenwart.

Helga König: Welche Möglichkeiten sehen Sie in den sozialen Medien, Ihre Follower für Ihre Projekte zu begeistern?

Daniel Landau: Das geht wirklich kurz ;) Soziale Medien sind für mich ein (!) Kanal, andere zu erreichen. Sie können und sollen aber nie das sogenannte "Real Life", das gute Gespräch mit anderen im gleichen Raum, ersetzen. Niemals! :) 

Lieber Daniel Landau, ich danke Ihnen vielmals für das aufschlussreiche Interview.

Ihre Helga König

Anbei der Link zur Website von Daniel Landau: "Daniel Landau bloggt - tachles reden, und dabei keine Ruhe geben, bis jedes Kind Zugang zu besserer Bildung hat".

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