Helga König im Gespräch mit Franziska Rumpf, Dipl. Kinderkrankenschwester und SAFE –Mentorin, Leiterin einer Eltern- Säuglingsberatungsstelle in Wien.

Liebe Franziska Rumpf, Sie sind Dipl. Kinderkrankenschwester und SAFE –Mentorin, leben in Wien und leiten dort eine Eltern- Säuglingsberatungsstelle. Auf Twitter sind Sie sehr engagiert im Hinblick auf die Themen Mitmenschlichkeit und Fairness. 

Sie haben auf Ihrer Profilseite einen bemerkenswerten Tweet angeheftet. Dort bekunden Sie, wofür Sie stehen. Sie schreiben: "Für mehr Respekt, Liebe, Vertrauen, Haltung, Empathie, Toleranz". 

Helga König: Woran denken Sie bei dem Begriff Haltung? 

 Franziska Rumpf
Franziska Rumpf:  Haltung bedeutet für  mich, Meinung haben dazu stehen. Auf die Wortwahl achten! Rückgrat zeigen und auch den Mut zu haben, gegen die Masse zu schwimmen. Solidaritätsfähigkeit haben und diese anderen Menschen zu entwickeln helfen, ist für mich Haltung.

Helga König: Sie wünschen sich also, dass wir alle im Hier und Jetzt ein wenig toleranter werden. Dürfen wir wissen, für welche Bereiche dies besonders gilt? 

Franziska Rumpf:  Aus meiner Sicht beginnt es im persönlichen Bereich, in meinem nächsten Umfeld. Wie gehen wir miteinander um? Wie sensibel sind wir füreinander? Dürfen wir zugeben, wie es uns tatsächlich geht? Darf ich Schwächen zeigen? Toleranz wünsche ich mir: Im Umgang mit hilfsbedürftigen Menschen, im Umgang mit anderen Meinungen, ganz besonders im Umgang von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Menschen, welche, aus welchem Grund auch immer, "anders" sind und reagieren als für  uns "passend". Meinem Empfinden nach sind psychische Erkrankungen nach wie vor nicht akzeptiert und bedeuten oft starke Ausgrenzung und Verurteilung für die Betroffenen.

 Helga König
Helga König: Was fällt Ihnen zu dem Begriff "Miteinander" und was zu Ihrer Wortschöpfung "Twittermiteinander"spontan ein? 

Franziska Rumpf:  Miteinander bedeutet füreinander, achtsam sein. Bedeutet Sensibilität für  mein Umfeld, die Bereitschaft zu teilen, zuzuhören und hinzuschauen. Vor allem dort hinzuschauen, wo es Misstände gibt, wo es "weh tut". 

"Twittermiteinander" war eine spontane Wortkreation und bedeutet für mich einen respektvollen Umgang auch im Netz. Entgegen mancher Entwicklungen im Netz, aufgrund der niedrigen Hemmschwelle, sollten wir besonders auf die Wortwahl achten.

Twitter ist eine tolle Plattform für wunderbare Dialoge und Diskussionen, eine schöne Möglichkeit spannende Persönlichkeiten kennen zu lernen und  dient zur Erweiterung des persönlichen Horizontes. Es bedeutet aus meiner Sicht auch einander Möglichkeiten zu geben zur Vernetzung, ich durfte sehr viel lernen von anderen Personen und Expertisen einholen. Durch Empfehlungen war es mir möglich, meine Interessen und Themen zu vertiefen. Ganz besonders schön finde ich es, dass manchmal einfach nachgefragt wird, wie es mir geht. Somit ist Twitter, in gesunder Dosis, eine Form des Miteinander 💜Bei dieser Gelegenheit ein Danke an meine Follower!

Helga König: Und was  fällt Ihnen bei dem Begriff "Empathie" ein ? 

  Franziska Rumpf
Franziska Rumpf:  Empathie bedeutet für  mich auf Augenhöhe mit dem anderen sein und mich in Feinfühligkeit zu üben. Sozusagen "Bauchgefühl trifft Hausverstand". Und Bewertungen haben dabei keinen Platz.

Helga König: Wie darf man sich Ihre tägliche Arbeit als Dipl. Kinderkrankenschwester und Safe-Mentorin vorstellen? 

Franziska Rumpf:  Meine Arbeit ist eine Kombination aus Routinebetrieb und Akutbetrieb. Ich arbeite im 24 Stunden Betrieb einer Kinderambulanz, das Spektrum an Krankheitsbildern ist vielfältig und die Tätigkeiten abwechslungsreich. Prioritäten setzen, achtsames arbeiten und hohe Belastbarkeit sind Vorraussetzung für diese spannende Aufgabe. Im Routinebetrieb werden chronisch kranke Kinder und  deren Angehörige betreut. Im Akutbetrieb ist nie einschätzbar, welche Klienten zu uns kommen. Besonders fordernd sind manchmal die Nachtdienste, da in der Nacht Menschen oft intensiver reagieren, mehr Angst haben...und das Personal manchmal der Anker ist in schwierigen Situationen. Mein Tweet über den Nachtdienst beschreibt es: "In der NACHT erscheinen unsere Emotionen wie ein Vergrößerungsglas. In der NACHT empfinden wir stärker: den Schmerz,  die Unruhe,  die Einsamkeit, die Dankbarkeit,  die Aufmerksamkeit,  die Angst,  das Ausgeliefert sein in schwierigen Situationen,  die Freude über Zuwendung,  die Erleichterung über eine hilfreiche Hand."Wie empfinden Menschen in der Nacht? "..der Himmel erdrückt mich", "ich erreiche niemanden", "das Fieber steigt immer in der Nacht", "ich bin alleine und hab Panik".

Ein weiteres Arbeitsfeld ist meine Beratungsarbeit in unserer Säuglingsberatung, einer Beratungsstelle für  alle Eltern von  Babies zu allen Fragen im 1. Lebensjahr. Seit 12 Jahren unterstützen wir Eltern im Umgang mit ihrem Säugling und bieten ein breites Themenspektrum an von Ernährung über Pflege, Schlafen, Handling, Trageübungen, Babymassage... Eine Beratungseinheit dauert 1 Stunde, ist kostenlos und gerne mehrmals möglich. Dieses Angebot an alle Eltern soll eine Unterstützung sein auf dem Weg in das Leben und helfen, ein sicheres Fundament zu schaffen. Für dieses Tätigkeit ist die Ausbildung zur SAFE - Mentorin besonders bereichernd gewesen. SAFE steht für  "Sichere Ausbildung für  Eltern" und ist ein Präventionsprogramm zur Förderung einer sicheren Bindung im 1. Lebensjahr zwischen Eltern und Säugling. Entwickelt wurde es vom Münchner Bindungsforscher Prof. Dr. Brisch und wird mittlerweile weltweit vermittelt. Elemente aus diesem Programm verwende ich in der Beratungsarbeit und  fände es für  alle Sozialberufe hilfreich, diese Ausbildung zu absolvieren. In der Krankenpflegeausbildung wäre das Mentorentraining ein hilfreiches Instrument. Der Kernpunkt ist das "Konzept der Feinfühligkeit ", entlang den Reaktionen und Bedürfnissen des Säuglings angemessen zu reagieren. Info: safe-programm.de 

 Helga König
Helga König: Erleben Sie Mütter, denen es an Empathie mangelt und wie äußert sich ein solcher Mangel bei den Säuglingen? 

Franziska Rumpf: Einen Empathiemangel unterstelle ich keiner Mutter. Wesentlich ist den Eltern zuzuhören und ihre Wahrnehmungen und Empfindungen nicht zu bewerten. Wir erleben Mütter/Väter, welche enorm unter Druck stehen, Ängste haben, unter Schlafmangel leiden und somit an die Grenze ihrer Belastbarkeit kommen. Sie benötigen Verständnis, Anleitung und möchten wahr genommen werden. Sie brauchen keine Belehrungen, sie brauchen Raum für ihre Emotionen und das Gefühl, alles besprechen und fragen zu dürfen. Wir unterstützen diese Eltern dabei, feinfühlig auf ihr Kind zu reagieren. Oft genügen ein bis zwei Beratungsstunden, um eine stabile Basis für Eltern und Säugling herzustellen. Motivation und Stütze sein kann so viel bewirken! Säuglinge, welche keine Feinfühligkeit erleben (von Eltern, welche es häufig auch nicht erlebten) können Verhaltensauffälligkeiten entwickeln, fühlen sich allein und ihren Emotionen überlassen, neigen vermehrt zu Schreianfällen...und könnten im späteren Leben weniger empathiefähig sein. 

Helga König: Sie arbeiten an der Wiener Rudolfsstiftung und haben in einem Interview mit kuriert.at gesagt, dass Eltern mit ihrem Nachwuchs zunehmend überfordert sind. Woran liegt das Ihrer Meinung nach und wie äußert sich dies? 

  Franziska Rumpf
Franziska Rumpf:  Wir leben in einer Zeit, die uns alle fordert in unserem Alltag. Elternschaft, Eltern werden, bedeutet ein einschneidendes Erlebnis und eine Lebensveränderung, welche viele Menschen "durcheinander" rüttelt und das Leben auf den Kopf stellt. Vieles wird vor der Geburt anders erhofft und erwartet. Viele Eltern, die zu uns kommen, haben Sorge, zu versagen und mit ihren Ängsten allein zu sein. Heute fehlt oft der stützende Familienverband, ein helfendes Netz muss erst aufgebaut werden.und häufig fühlen sich Mütter/Väter isoliert. Ebenso verunsichernd wirkt das Überangebot an Informationen und der häufige Konsum von Google und Co. Umso wichtiger sind niederschwellige Angebote für persönliche Beratungsgespräche und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für dieses Thema."Frühe Hilfen" sind besonders wichtig und sollen ein Beitrag zur Gewaltprävention sein. Ich wünsche mir, dass viele Eltern Beratungsangebote in Anspruch nehmen, ohne sich dafür zu schämen oder sich schlecht zu fühlen.

 Helga König
Helga König: Was bewirken die Tweets Ihrer Twitterfreunde (m/w) nach anstrengenden Arbeitstagen bei Ihnen? 

Franziska Rumpf: Sie überraschen mich! Oft fremde Menschen bedanken sich für meine Arbeit und reagieren einfühlsam. Das zeigt Empathie und Wertschätzung und freut mich sehr. Toll waren und sind die vielen Likes und RTs meines angehefteten Tweets oder der einzelnen Hilfsaktionen, welche ich gestartet habe. 

Helga König: In einem Ihrer Silvestertweets schreiben Sie, dass Sie sich mehr Twitterprojekte und Twitterinitiativen wünschen. Können Sie das bitte näher erklären? 

  Franziska Rumpf 
Franziska Rumpf: Es gab und gibt immer wieder Hilfsaktionen und Initiativen von  TwitterantInnen in meiner Timeline. Das zeigt von Menschlichkeit und Solidarität. Diese Initiativen finde ich grossartig u sehr unterstützenswert. Beispielsweise die Sammlung von Monatskarten für öffentliche Verkehrsmittel in Wien für sozial benachteiligte Menschen von @peterbern und Daniel Landau. Oder Sammelaktionen, um Kindern Bücher oder Schulwaren zu schenken... Gemeinsam können wir viel erreichen! 

Helga König: Wie könnte sich Mitmenschlichkeit und Fairness dem Pflegepersonal in Krankenhäusern gegenüber erkennbar äußern. Was empfehlen Sie diesbezüglich allen, die Sie hier lesen?

Franziska Rumpf: Ein freundlicher, höflicher Umgang erleichtert unsere Arbeit ungemein! Ein "Danke" freut uns. Beschimpfungen und Entgleisungen, welche leider zunehmen, finde ich kräfteraubend und sind ein Zeitverlust. Ich denke, die Leser brauchen keine Empfehlungen diesbezüglich.

Liebe Franziska Rumpf, ich danke Ihnen vielmals für das aufschlussreiche Gespräch.

Ihre Helga König 

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