Lieber Serkan Kirli, Sie sind Rechtsanwalt in Köln und dokumentieren auf Ihrem Twitteraccount Ihre menschenfreundliche, faire und dabei kosmopolitische Haltung.
Helga König: Was fällt Ihnen spontan zum Thema "friedliches Miteinander" ein?
Serkan Kirli |
Serkan Kirli: "Friedliches Miteinander" bedeutet für mich in erster Linie, dass man mutig aufeinander zugeht und dabei versucht, voneinander etwas zu lernen. Es geht nicht darum, so zu werden wie sein Gegenüber, auch nicht darum, die eigenen Werte, die eigene Lebensweise, die eigenen Ideale und Meinungen aufzugeben. Es geht nur darum, zu verstehen und nachzuvollziehen, und sich einfühlen zu können. Ich denke "Empathie" ist das Zauberwort. Solange keine Empathie für andere Menschen bzw. Gruppen entwickelt wird, ist auch eine tolerante Haltung anderen gegenüber nicht möglich. Und ohne Toleranz kann man keine Vorurteile bekämpfen.
Man glaubt friedlich miteinander zu leben, lebt aber – wenn überhaupt - hauptsächlich friedlich nebeneinander. Man hat eine subjektive Vorstellung von dem anderen, ohne jedoch auf den Betreffenden zuzugehen oder ohne sich für ihn in irgendeiner Form zu interessieren. Es gilt, sich vom Anspruch, anderen immer vorgeben zu wollen, was wahr und falsch ist, wie sie sich zu fühlen haben, ja wann sie sogar gekränkt sein dürfen, loszulösen. Mit dieser Anmaßung und Überheblichkeit muss endlich Schluss sein
Helga König |
Helga König: ... und was zum Thema geglückte Integration?
Serkan Kirli: Da gibt es noch viel zu tun. Geglückte Integration bedeutet für mich immer noch Zielbestimmung. Wenn man auf einer Reise ist, sollte man zumindest wissen, wohin die Reise geht. Das gleiche gilt auch für die Integration. Seit knapp 20 Jahren wird immer zunehmend darüber diskutiert, ob die Integration gelungen oder gescheitert ist, ohne dabei den Integrationsbegriff definieren zu können. Integration ist ein ausfüllungsbedürftiger Begriff, also eine Lücke, die gefüllt werden muss.
Wann kann man noch von Integration sprechen und was ist die Schwelle zur Assimilation erreicht?
Es wurde in der Vergangenheit der Begriff "Leitkultur" ins Spiel gebracht. Kultur hat etwas Dynamisches und ist wandelnd. Was heute kulturell gern gesehen wird, kann in 30 Jahren auf Abneigung stoßen. Die freiheitliche Werteordnung, die verfassungsmäßige Rechtsordnung, sowie die deutsche Sprache sollten unsere kleinsten gemeinsamer Nenner sein. Die Sprache sollte übrigens jeder schon aus eigenem Interesse lernen. Alles andere ist relativ und vor allem auch sehr dehnbar.
Helga König: Wodurch haben sich Ihre ethischen Überzeugungen, die man immer wieder Ihren Tweets entnehmen kann, entwickelt, durch Ihr Elternhaus, die Schule, das Studium, die Religion, Ihre Freunde?
Serkan Kirli |
Serkan Kirli: Ich denke alles, das Elternhaus, die Schule, das Studium, alles hat eine gewisse Rolle gespielt. Aber auch die seit mehr als 15 Jahren in der Türkei regierende AKP hat nicht in unerheblicher Weise dazu beigetragen, dass meine heutigen Ansichten so sind, wie sie sind. Zum ersten Mal konnte ich nachempfinden, wie es Mitgliedern anderer Gruppen, die sich ständig zu Recht diskriminiert fühlen, gehen muss. Wenn vom "Volk" die Rede ist, meint man oft die eigene Wählerschaft und ignoriert die andere Hälfte des Landes. Ich habe dann immer mehr versucht, unvoreingenommener zu sein und mich in die Lage von anderen zu versetzen. Ich denke es ist mir mehr oder weniger gelungen, mich von schematischen und verfestigten Denkweisen zu befreien.
Helga König |
Helga König: Am 3.1. 2018 haben Sie folgenden Tweet gepostet: "Obwohl ich der Ansicht bin, dass #Hass und #Hetze mit jedem Tag salonfähiger werden und etwas dagegen unternommen werden muss, bin ich von der Verfassungswidrigkeit des #NetzDG überzeugt. Das Gesetz würde m. E. einer verfassungsgerichtl. Kontrolle durch das #BVerfG nicht standhalten." Würden Sie den Lesern von "Buch, Kultur und Lifestyle" hierzu bitte Näheres erklären?
Serkan Kirli: Noch vor wenigen Jahren hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass in Deutschland und gerade in Deutschland, gegen gesamte Gruppen als solche so offen gehetzt wird. Als Jurist bin ich jedoch der festen Überzeugung, dass das NetzDG verfassungswidrig ist und gegen die in Art. 5 Abs. 1 GG enthaltenen Grundrechte, insbesondere gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung, verstößt. Zwar ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht schrankenlos gewährt, trotzdem muss jeder Eingriff in das entsprechende Grundrecht auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.
Das NetzDG stellt zweifelsfrei einen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit dar. Meines Erachtens ist der Eingriff aber nicht gerechtfertigt. Ohne an dieser Stelle rechtsdogmatische Ausführungen vertiefen zu wollen, will ich klarstellen, dass die (vermeintliche) „Wertlosigkeit“ oder auch die „Gefährlichkeit“ von Meinungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Grund darstellen, Meinungen zu verbieten. Meinungen, die Hass beinhalten oder sonst abstoßend sind, müssen nicht von vornherein verboten oder strafbar sein, sondern können im Einzelfall auch von der Meinungsfreiheit gedeckt sein.
Das NetzDG und die darin enthaltene Löschungspflicht ist eine verdeckte "Aufgabendelegation" der Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden und der Strafjustiz. Es hätte eines neuen Gesetzes nicht bedurft, wenn von den vorhandenen Mitteln des (Straf-)Rechts ausreichend Gebrauch gemacht worden wäre. Schließlich bin ich auch der Meinung, dass sich das NetzDG eher kontraproduktiv auswirken wird.
Soweit Hass nicht in strafbarer Weise zum Ausdruck kommt, muss dieser gesellschaftlich und politisch bekämpft werden.
Helga König: Woher kommen diese unsägliche Hetze und der abgründige Hass, von denen Sie in Ihrem Tweet sprechen nach Ihren Erfahrungen?
Serkan Kirli |
Serkan Kirli: Ich bin gebürtiger Kölner mit türkischer Abstammung und habe auch in der einen oder anderen Situation Hass in Form von Rassismus erfahren. Hass kann historische, soziale, familiäre und regionale Gründe haben. Der Mensch wird in ein Umfeld hineingeboren, wächst mit den gegebenen sozialen Bedingungen auf und irgendwann wird einem der Hass vermittelt. Und dann wird die Angelegenheit zu einem Charaktertest für den Menschen.
Der Einzelne muss dann besondere Eigenschaften, Fähigkeiten haben oder Erfahrungen sammeln, um aus dem Teufelskreis raus zu kommen. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Es gab und gibt Gruppierungen von Menschen mit Migrationshintergrund, die sich aufgrund regionaler Konflikte der jeweiligen "Heimatländer" gehasst haben, ohne je auch nur einen einzigen der anderen Seite persönlich gekannt zu haben. Vielen ist es später gelungen, gute Bekanntschaften oder sogar Freundschaften zu schließen. Hass ist ein Gefühl. Das Potenzial für eine Abneigung steckt meines Erachtens in jedem Menschen.
Nur gilt es dann zumindest zu verhindern, dass die Abneigung nicht die Schwelle des Hasses erreicht.
Es ist womöglich sogar ein Gefühl, was man nicht kontrollieren kann. Hass hat es immer gegeben und wird es auch immer geben. Nicht selten finden Menschen schon in der Zugehörigkeit zu einer Gruppe die Berechtigung, andere zu hassen. Das ist der Hass, dem man aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, Nationalität, Religion, Ethnie, "Rasse", Sprache ausgesetzt ist. Hier gilt es den Menschen klarzumachen, dass eine gesamte Ethnie, Religionsgemeinschaft, Nation nicht "böse" oder "gut" sein kann.
Hierzu ein ein überspitztes Beispiel aus dem Roman "Alexis Sorbas" von Nikos Kazantzakis. Dort heißt es an einer Stelle: "Wenn du wüßtest, Chef, was ich für das Vaterland alles getan habe... . Ich habe gemordet, gestohlen, Dörfer in Brand gesteckt, Frauen vergewaltigt, ganze Familien ausgerottet... Warum? Nur weil es Bulgaren oder Türken waren. ... Jetzt schaue ich mir die Menschen an und sage: Der ist ein guter, jener ein schlechter Mensch."
Aber daneben gibt es auch den Hass, der unabhängig von einer Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen existiert. Der Mensch findet immer Gründe sich zu hassen. Mal unterstellt, es gäbe nur eine Nation, eine Sprache, eine Religion und ein Land, es hätte trotzdem Menschen gegeben, die sich hassen würden; uns zwar aus Neid, Eifersucht, Habgier, Rache oder sogar wegen nachbarlichen Streitigkeiten. Nach biblischen und koranischen Überlieferungen soll Kain aus Neid seinen Bruder Abel erschlagen haben. Nach monotheistischen Religionen war es der erste Mord der Geschichte.
Helga König |
Helga König: Sie haben am 1.1.2018 getwittert: "Meine Gedanken sind bei den Demonstranten im #Iran. Dieses menschenverachtende #Mullah-Regime muss weg. Alle Verantwortlichen dieser Schreckensherrschaft sollten anschließend vor unabhängigen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden. #FreeIran #IranProtest. Glauben Sie, dass die westlichen Staaten diesbezüglich etwas bewirken könnten und wenn ja wie?
Serkan Kirli: Die westlichen Staaten müssten die Oppositionellen, die nach einer Säkularisierung und Demokratisierung des Landes streben, unterstützen. Aber letztendlich kann die Rettung nur vom Volk selber kommen. Diesbezüglich hatte ich vor knapp zwei Wochen einen Tweet verfasst: "Keine Diktatur kann aufrechterhalten werden, wenn das Volk aufsteht. Nicht nur Demokratien, sondern auch Diktaturen leben vom Volkswillen, nur auf eine andere Weise." Das iranische Volk muss sich darüber im Klaren sein, dass es insbesondere im 21. Jahrhundert so eine Staatsform nicht verdient.
Helga König: Gefallen hat mir Ihr Tweet zum Jahresende 2017: "Vorsätze und Anregungen für's neue #Jahr: "Verbal abrüsten und versuchen, die Dinge etwas sachlicher, ausgewogener und nüchterner zu betrachten. Spitze, spöttische, herabwürdigende, provozierende Äußerungen bringen die Vertreter der jeweiligen Meinungen nur noch weiter auseinander." Wie lassen sich Ihrer Meinung nach Mobber, Trolle, Stalker und politische oder religiöse Extremisten zu dieser Verhaltensänderung bewegen ohne Androhung von Strafen?
Serkan Kirli |
Serkan Kirli: Es muss viel öfter der Versuch unternommen werden, auch vermeintliche "Mobber", "Trolle", "Stalker" und "Extremisten" zu erreichen. Oft erreicht man nämlich nur solche Leute, die man auch erreichen will. Man sollte sich von Trollen und Extremisten nicht beleidigen oder provozieren lassen, aber zugleich sich auch fragen, ob der eigene überhebliche Ton die richtige Umgangsform darstellt. Im Zweifel ist der Diskussionspartner nämlich nicht von seinem Standpunkt abgerückt, ganz im Gegenteil, er ist vielleicht von seiner Meinung und Haltung noch überzeugter als vorher. Insbesondere sollten beispielsweise Inhaber von "großen" Accounts bevor sie einen Tweet verfassen überlegen, was sie damit bezwecken. Und nach den entsprechenden Reaktionen kann der Betreffende immer noch überprüfen ob die Erwartungen sich erfüllt haben oder sich der Tweet sogar doch nicht kontraproduktiv ausgewirkt hat.
Helga König |
Helga König: Ich teile Ihre Beobachtung: "Es ist nicht einmal die Religion, woran die Menschen glauben. Vielmehr glauben sie an das, was sie zu ihrer Religion gemacht haben; Ehrgeiz, Eifer, Habgier, Intrige, Schadenfreude, Zugehörigkeitsgefühl, Autophobie, ideologische bzw. politische Anschauung, Bräuche, Traditionen." Was müssen wir, die wir dies erkannt haben, tun, um einen neuen Zeitgeist hervorzurufen?
Serkan Kirli: Religionen gebieten grundsätzlich im Kern, das "Gute" zu tun und das "Böse" zu unterlassen. Vorab sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man nur aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion nicht automatisch zu einem besseren Menschen wird. Ethik, Moral, Anstand, Billigkeit, Fairness sind meines Erachtens universell und nicht kultur- oder religionsabhängig. Oft hat jeder seine eigene Vorstellung von Gut und Böse, von "wahr" und „falsch“. Keiner hat Anspruch auf absolute Wahrheit. Das sollte man sich einprägen. Jeder muss im Rahmen seiner "Wahrheit" dem anderen genügend Raum lassen, damit auch er seine "Wahrheit" ausleben kann.
Religion sollte der inneren Ruhe und dem inneren Frieden dienen. Es muss auch nicht unbedingt verkehrt sein, dass Religion oder Glaube Gewissensentscheidungen beeinflussen können. Je mehr aber die Religion instrumentalisiert wird, umso mehr entfernen wir uns vom inneren Frieden. Religion ist dann nicht mehr das Reine, was man sich vorgestellt hatte, sondern nur noch Mittel zum Zweck. Wir müssen uns vielmehr an Säkularität klammern, damit Religion nicht zum Instrument wird und auch immer darauf Acht geben, ob vermeintliche Ge- oder Verbote , von denen immer die Rede ist, auch mit dem Billigkeits- und Gerechtigkeitsgedanken in Einklang zu bringen sind.
Helga König: Müsste Ihrer Meinung nach weltweit mehr über Menschenrechte gesprochen werden, damit alle sich dieser bewusst werden oder was muss geschehen, damit deren Akzeptanz allerorten erhöht wird?
Serkan Kirli |
Serkan Kirli: Menschenrechte werden in der Regel dort am meisten mit Füßen getreten, wo der Lebensstandard auf niedrigstem Niveau ist. Tor und Tür für Willkür, Korruption, Alleinherrschaft, Diktatur sind dann geöffnet. Es sollte auf jeden Fall weltweit mehr über Menschenrechte gesprochen werden. Um das jedoch zu schaffen, muss gewährleistet sein, dass das Gesprochene auch bei den Menschen ankommt. Genau das dürfte problematisch sein, wenn z.B. ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung des entsprechenden Landes nur die Grundschule besucht hat, weil sie schon im Kindesalter für umgerechnet 50 Euro im Monat Knochenarbeit leisten muss oder 40 Personen sich einen Fernseher teilen müssen. Da dürfte die Debatte über Menschenrechte eher einen „Luxus“ darstellen.
Helga König |
Helga König: Ich teile Ihre Meinung: #Rassismus ist eine, oft vom sozialen Status und Bildungsgrad des Betreffenden unabhängige, kranke und menschenverachtende Gesinnung." Was können wir tun, damit diese kranke und menschenverachtende Gesinnung nicht um sich greift und wie können wir sie heilen?
Serkan Kirli: Keiner kommt als Rassist auf die Welt. Wie bereits gesagt, es ist eine Krankheit, mit der man sich in irgend einem Abschnitt seines Lebens ansteckt. In vielen Fällen ist diese Krankheit unheilbar. Sie schreitet solange voran, bis sie die die Betreffenden und schließlich auch die Gesellschaft auffrisst. Beispielsweise gab es den Antisemitismus schon seit dem frühen Mittelalter bis in die Weimarer Zeit. Es gab Dichter, Denker und Reformer die antisemitische Ansichten hatten. Auch ihr Intellekt hat nicht ausgereicht, um die "Krankheit" zu heilen. Und es war in der Nachkriegszeit nicht sicherlich so, dass es von heute auf morgen plötzlich keine Antisemiten mehr gab. Das waren bzw. sind Menschen, die hautnah erlebt haben, wozu der Rassenwahn führen kann. Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen; Menschen müssen aufeinander zugehen, mehr voneinander lernen, Vorurteile beiseitelegen und den Kontakt und die Diskussion nicht scheuen.
Lieber Serkan Kirli, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.
Ihre Helga König
Frankfurterstr. 30
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Tel: 0221 / 16954321
Fax:0221 / 16955491
Mail: kanzlei@rae-kirli-ippolito.de
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