Liebe Sonya Winterberg, Sie sind eine finnlandschwedische Journalistin, Autorin und Filmemacherin. Gemeinsam mit Ihrem Ehemann Yury haben Sie u.a. eine Biographie über Käthe Kollwitz geschrieben. Dieses Buch habe ich damals auf "Buch, Kultur und Lifestyle" vorgestellt.
Am 20. 2. 2018 haben Sie auf Twitter auf Ihre Reportage "Kinderhandel- mitten in Europa" hingewiesen, die auf Arte ausgestrahlt wurde und dort noch bis zum 20.5. 2018 verfügbar ist. In dieser Reportage, die Sie gemeinsam mit Sylvia Nagel gemacht haben, zeigen Sie zu welch niederträchtigem Verhalten Menschen fähig sind.
Auf Wikipedia erfährt man, dass die Schwerpunkte Ihres Tuns "Krieg, Trauma, soziale Gerechtigkeit und Integration" sind, das heißt demnach, dass Sie Ihr Leben offenbar dem Altruismus gewidmet haben.
Meine Fragen an Sie in diesem Zusammenhang:
Helga König: Was bedeutet für Sie Mitmenschlichkeit?
Sonya Winterberg Copyright: Susanne Pech |
Sonya Winterberg: Dafür gibt es ja auch ein deutsches Wort und Konzept: Anständigkeit. In erster Linie bedeutet das für mich einen positiven sozialen Umgang mit anderen. In meiner Arbeit ist es aber auch das Beschreiben von Zuständen, die weniger "anständig" sind. Oft geht es dabei um die angemessene Verteilung von Ressourcen, den Zugang zu Informationen oder die Art und Weise, wie in Gesellschaft und Politik Entscheidungen getroffen werden.
Helga König: Ihre Reportage, die mich sehr entsetzt hat, zeigt, wozu Soziopathen fähig sind. Sie thematisieren dort, wie minderjährige Mädchen und Jungs sexuell ausgebeutet, gefoltert sowie zum Betteln geschickt werden und kaum eine Chance haben, der Tortur zu entkommen. Worin sehen Sie die Ursachen für das unsägliche Verhalten der Menschenhändler und Täter?
Sonya Winterberg Copyright: Susanne Pech |
Wenn uns ein Polizist sagt, dass er keine Ressourcen hat, gezielt nach Kindern zu suchen, mit denen gehandelt wird, weil die Ressourcen in die Terrorbekämpfung gesteckt werden, ist das ebenso traurig wie die Aussage, dass die Polizei im Darknet kaum ermitteln kann. Es ist eine Rechtsgüterabwägung, die häufig zu Ungunsten der Schwächsten ausgeht.
Eine Missverständnis möchte ich noch ansprechen. Ja, die Täter wirken auf uns abnorm (Sie sagen "Soziopathen"), wenn wir um ihre Taten wissen. Das Phänomen ist jedoch so häufig, dass wir leider davon ausgehen müssen, dass es sich um relativ normal wirkenden Menschen handelt. Väter, Großväter, Nachbarn, Arbeitskollegen. Gerade im Bereich sexueller Ausbeutung geben zwar viele Männer zu, sich von besonders jungen Mädchen oder Jungfrauen angezogen zu fühlen. Kaum einer mag jedoch darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn sie die entsprechenden Dienstleistungen in Anspruch nehmen.
Helga König |
Sonya Winterberg: Ich denke es ist unrealistisch zu glauben, man könne das Darknet auflösen oder verbieten. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Anonymität des Darknets ein wichtiger Schutz ist, beispielsweise für Dissidenten in Diktaturen. Die Frage, die sich für uns im Hinblick auf das Darknet ergeben hat, ist vor allem, wieso Politik und Gesellschaft offenbar nicht gewillt ist, Polizei und Ermittler so auszustatten, dass sie beispielsweise illegale Angebote hacken und verfolgen können.
Wenn ein Ermittler im Film sagt, dass sie "in einschlägigen Zeitungen und dem offenen Internet" ermitteln, zeigt das die Hilflosigkeit der Behörden. Einschlägige Zeitungen meint insbesondere Anzeigenblätter, das "offene Internet" wiederum endet für die Landeskriminalämter an den Grenzen ihres jeweiligen Bundeslandes. Doch der Markt richtet sich ja nicht diesen Grenzen oder Medien. Was uns bei den Recherchen wirklich entsetzt hat, ist wie einfach der Zugang zu diesen Märkten ist und wie wenig und wie inkompetent dagegen vorgegangen wird.
Helga König: Wurden Sie bei Recherchen zu diesem furchtbaren Thema von den Schwerstverbrechern bedroht?
Sonya Winterberg Copyright: Susanne Pech |
Helga König |
Sonya Winterberg: Hilfsorganisationen, die im Bereich Kinderhandel tätig sind, haben uns bei der Suche nach Opfern unterstützt. Die wiederkehrende Erfahrung ist, dass den Grausamkeiten und dem Leid keine Grenzen gesetzt sind. Ich habe in meinen gut zwanzig Jahren als Journalistin viel gesehen und gehört. Diese Recherche hat das nochmals bei weitem übertroffen. Einiges davon konnten wir auch nicht zeigen.
Helga König: Sie zeigen u.a. eine "Sklavin", die eine bereits getötete "Sklavin" auf Anweisung eines Soziopathen zerstückeln musste. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, dass diese Frau von Ihrem Trauma geheilt werden kann, auf welche Weise wird Ihr und anderen Opfern von staatlicher Stelle geholfen?
Sonya Winterberg Copyright: Susanne Pech |
Die Internationale Organisation für Migration (IOM), eine Agentur der Vereinten Nationen, ist diesbezüglich am weitesten, was das Wissen um die Bedarfe der Opfer angeht. Doch selbst dort gibt an zu, dass die Unterstützung der Opfer nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.
Helga König |
Sonya Winterberg: Erst einmal sollten Lehrer und Eltern selbst kompetenter im Umgang mit den sozialen Medien werden, um ihren Kindern entsprechende Medienerziehung angedeihen zu lassen. Die Tatsache, dass junge Menschen, häufig Minderjährige, Nacktfotos von sich über Whatsapp, Snapchat und ähnliche Dienste verschicken, lässt sie schnell zu Opfern werden. Vielen Kindern und Jugendlichen ist nicht klar, dass das Internet "public domain", also öffentlich ist. Es ist nicht schwer, ein Account in diesen Diensten oder ein Mobiltelefon zu hacken. Woher weiß ich, wer mein Gegenüber ist? Wie schnell kann ein Foto über die sozialen Medien verbreiten? Warum sollte ich niemandem schreiben, den ich überhaupt nicht kenne?
All diese Dinge werden meines Erachtens noch zu wenig mit Kindern und Jugendlichen besprochen.
Helga König: Welche Resonanz gab es bislang auf Ihre Reportage?
Sonya Winterberg: Es gibt bislang eine Mischung aus Entsetzen und Ungläubigkeit bis hin zu positiven Rückmeldungen der Hilfsorganisationen, Ermittler und Opfer.
Helga König: Welche Möglichkeiten sehen Sie, sich in den sozialen Netzwerken für Integration und soziale Gerechtigkeit sinnstiftend einzusetzen?
Sonya Winterberg Copyright: Susanne Pech |
Liebe Sonya Winterberg, ich danke Ihnen vielmals für das aufschlussreiche Gespräch.
Ihre Helga König
Link zur Reportage bitte hier klicken:"Kinderhandel- mitten in Europa"
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