Helga König im Gespräch mit dem Theologen Michael Becker

Michael Becker ist Theologe. Er war 25 Jahre lang Gemeindepfarrer zuerst in Marburg, später an der Bischofskirche St. Martin in Kassel. Die folgenden 15 Jahre bis zum Ruhestand 2013 war er Rundfunkpfarrer beim Hessischen Rundfunk.

Lieber Michael Becker, es freut mich, dass Sie an dem Ethik-Langzeitprojekt "Interviews- Begegnungen mit Menschenfreunden im Netz" des Onlinemagazins "Buch, Kultur und Lifestyle" teilnehmen. Dazu nun folgende Fragen an Sie:

Helga König: Wann verhält sich nach Ihrer Ansicht ein Mensch mitmenschlich?

 Michael Becker
Foto: Anja Köhne
Michael Becker:  Menschlichkeit äußert sich im Mitfühlen wollen. Mitfühlen ist nicht Billigen. Es ist das Wissen darum, dass andere Menschen sind wie ich. Sie sind nicht schlechter, sondern anders. Nur auf diesem Grund darf ich ein Urteil über Handlungen wagen.

Helga König: Welchen Stellenwert hat für Sie Ethik im Hier und Heute?

Michael Becker: Ethik ist zu allen Zeiten der Versuch, das gemeinsame Leben von Menschen in Liebe und Rücksicht aufeinander zu gestalten

Helga König
Helga König: "Hinter mancher Heiterkeit wohnt viel Verzweiflung", haben Sie am 29. März getwittert. Woran kann man diese als Beobachter erkennen und was empfehlen Sie uns zu tun, ohne aufdringlich zu wirken, wenn wir besagte Verzweiflung bei einem Gegenüber wahrnehmen? 

Michael Becker:  Ich meine, Verzweiflung an einer übertriebenen Heiterkeit zu erkennen. Ich kann wenig dagegen tun; nur zuhören. Mitunter spürt der angebliche Heitere bei Rückfragen, dass er viel Traurigkeit überdeckt. 

Helga König: "Ich kenne Menschen, die brauchen andere aus nur einem Grund: Damit diese sie bewundern. Andere sind immer nur Publikum, das diesen Menschen auf der Bühne zu applaudieren hat." Diesen Tweet haben Sie am 27.3. gepostet. Wie gehen Sie mit solchen Narzissten um, ohne Sie zu verletzten? 

  Michael Becker
Foto: Anja Köhne
Michael Becker:  Manchmal mit einer gewissen Ironie. Manchmal gehe ich ihnen aus dem Weg. Gelegentlich weise ich sie vorsichtig darauf hin, dass sie ihre Geltung übertreiben. 

Helga König: "Man sollte nie unterschätzen, wie viel persönlicher Neid sich in sachlicher Kritik verbergen kann", schreiben Sie am 25.3. Wie geht ein Menschenfreund mit versteckten Neidattacken um? 

Michael Becker:  Die kann man nur zu erkennen versuchen durch Gespräche mit anderen – und dann auszuhalten versuchen. Nach einer gewissen Zeit laufen sie dann womöglich ins Leere, mit Hilfe von anderen.

Helga König: "Liebenswert sind Menschen, die, innerlich wie äußerlich, niemals nur so tun, als ob", ist ein weiterer Ihrer Gedanken. Was steckt in der Regel hinter Verschleierungstaktiken tatsächlicher Motive? 

Michael Becker:  Meistens Unsicherheit. Oft eine gewisse Unkenntnis, wer man wirklich ist. Manchmal ein Hang, mehr sein zu wollen, als man ist. 

 Helga König
Helga König: Sie schreiben: "Der Mensch, der zu Dir hält, nicht zu Deinen Taten, sondern zu Dir, weil jeder ja mehr ist als seine Taten, dieser Mensch ist kostbar; und selten." Weshalb sind solche Menschen so selten zu finden, weshalb ist allerorten Persönlichkeitsmangel fast der Normalzustand?

Michael Becker:  Menschen haben oft viel Sorge davor, sich zu erkennen – und erkannt zu werden. Viele wissen nicht, was da wohl herauskommt. Außerdem hält man gerne zu den Stärkeren. Es braucht besondere Kräfte und Selbstwert, zu Menschen zu stehen, die einen Fehler gemacht haben oder gar schwere Schuld auf sich geladen haben.

Helga König: "Aus Gründen der Menschlichkeit ist es nicht erlaubt, den Schmerz eines anderen kleinzureden, nur weil man selber den Schmerz nicht hat.". Können Sie diesen, Ihren Gedanken näher ausführen?

  Michael Becker
Foto: Anja Köhne
Michael Becker:  Im Kleinreden liegt oft ein gewisser Hochmut, der sich in Gedanken äußert wie: ‚Das könnte mir nicht passieren!‘ Doch, kann es. Vielleicht nicht deckungsgleich, aber ähnlich. Der Schmerz eines anderen ist immer wirklich. Ihm begegne ich nicht hochmütig, sondern in Demut und Dankbarkeit, verschont zu sein.

Helga König "Wer Leid aus dem Weg geht, weil er Angst hat, wird nicht ruhiger, sondern vermehrt seine Angst." Was können Menschen tun, um Ihren Ängsten ins Gesicht zu schauen? 
  
Michael Becker: Die größte Hilfe ist wohl das kritische Gespräch mit einem Menschen, der mir auch liebevoll meine Ausflüchte nimmt. Und von dem ich weiß, dass er mich nicht verurteilt. 

 Helga König
Helga König: "Ich wünschte, ich könnte jedem, der mir begegnet, ein wenig Hoffnung geben", haben Sie Ihren Lesern auf Twitter kürzlich mitgeteilt. Was bedeutet Ihnen Hoffnung und weshalb möchten Sie diese gerne an alle, die Ihnen begegnen verschenken?

Michael Becker: Ich habe neulich gedacht, ich wäre gerne von Beruf Hoffnungsentdecker. Ich könnte in einer Hütte auf einem belebten Platz sitzen und Menschen einladen: "Kommt, wir entdecken zusammen die Hoffnung!" Ich möchte Hoffnung entdecken, weil sie Sinn verspricht – auch in dem, was gegen meinen Willen geschieht und mir Schmerzen macht. Persönlich glaube ich, dass jeder Menschen fähig ist, in seinem Leben Sinn zu erkennen; auch wenn man sich das Leben einmal ganz anders vorgestellt hatte.

Lieber Michael Becker, ich danke Ihnen herzlich für das aufschlussreiche Gespräch.

Ihre Helga König

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