Helga König im Gespräch mit der Soziologin Dr. Hannelore Orth-Peine

Dr. Hannelore Orth-Peine ist die meiste Zeit in Bonn aufgewachsen. Hier auch erlangte sie die Hochschulreife, um in Bielefeld Soziologie, Pädagogik, dazu noch einige andere Fächer zu studieren und in Soziologie promoviert zu werden. Anschließend hat sie dort an der Uni gearbeitet, schließlich aber ihre  universitäre Tätigkeit beendet, um ihre drei Kinder zu betreuen, nachdem ihre Familie ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin verlagert hatte. Mittlerweile sind ihre Kinder erwachsen. Deshalb hat sie viel Zeit für ihre Hobbys: Sport, Lesen, Ausstellungen und bereichert die Twittergemeinde mit klugen Beiträgen.

Liebe Dr.  Hannelore Orth-Peine, es freut mich, dass Sie an dem Ethik-Langzeitprojekt "Interviews- Begegnungen mit Menschenfreunden im Netz" teilnehmen. Dazu folgende Fragen an Sie:

Helga König: Was bedeutet Ihnen Mitmenschlichkeit? 

 Dr. Hannelore Orth-Peine 
Dr. Hannelore Orth-Peine: Ich bin in einem christlichen Elternhaus groß geworden. Meinen Kinderglauben habe ich zwar verloren, aber das Zugehen und auch die Sorge für/um andere Menschen ist mir sehr wichtig und dieses Verständnis habe ich auch an meine Kinder weitergegeben.

Helga König: Bedingt ein faires Verhalten gegenüber Dritten zunächst einmal die Reflektion der eigenen Egoismen? 

Dr. Hannelore Orth-Peine: Keiner ist frei von Egoismen und das wäre auch völlig unnatürlich. Da ich mich als soziales Wesen betrachte, sehe ich als Grundbedingung jeder Kommunikation die Reflexion des eigenen Standpunktes und darauf aufbauend die Antizipation der Wünsche und Beweggründe des Gegenüber. Soll der Austausch gelingen, müssen beide Seiten einen Kompromiss eingehen, bei dem im besten Fall keiner von beiden der Verlierer ist. Eine Begegnung auf Augenhöhe also. 

 Helga König
Helga König: Sie haben nachstehendes Zitat von James Baldwin getwittert: "Ich vermute, einer der Gründe weswegen Menschen so hartnäckig an ihrem Hass festhalten, ist, weil sie spüren: Ist der Hass erst einmal fort, werden sie gezwungen sein, sich mit Schmerz zu beschäftigen." Worin könnte der Schmerz von Rassisten bestehen?

Dr. Hannelore Orth-Peine: Der Schmerz besteht darin, dass sie, indem sie das Gefälle zwischen Weiß und Schwarz so vehement verfochten hatten, ihre eigenen Möglichkeiten beschnitten und  Gefangene ihres eigenen Denkens waren. Im Gefängnis ist ja nicht nur der Gefangene eingeschlossen, sondern auch der Wächter. 

Helga König: Sie schreiben "Mit Worten einen Sonnenstrahl ins Herz eines anderen zu senden, gelingt mündlich am besten; ist das nicht möglich, kann dies auch durch Geschriebenes erreicht werden." Wie reagieren Ihre engsten Twitterfreunde auf die von Ihnen gesendeten Sonnenstrahlen und was macht die Reaktion mit Ihnen? 

 Dr. Hannelore Orth-Peine 
Dr. Hannelore Orth-Peine: Manche mögen es und es kommen intensive Gespräche zustande, anderen ist das egal. So ist das eben. Alles wie im alltäglichen Kontakt. 

Helga König: Das Internet macht die Menschen nicht dümmer, aber Dummheiten sichtbarer für die, mit kritischem Blick durchs Netz streifen,“ lassen Sie Ihre Leser wissen. Welche Dummheiten sind Ihnen bei Ihren jüngsten Streifzügen durchs Netz in letzter Zeit besonders aufgefallen?

Dr. Hannelore Orth-Peine: Gute Frage. Was mich immer wieder stört, sind die dumm dreisten Antworten/Beiträge von Rechten, die mir ihre gefühlte Wahrheit aufdrängen wollen, die mit der Realität nichts gemein hat. Dazu gehören auch Sprüche unterhalb der Gürtellinie. 

 Helga König
Helga König: Sie haben den Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10.12 2018 auf Facebook gepostet und kommentiert: "Heute vor 70 Jahren wurde als Folge des II. Weltkriegs die Erklärung der Menschenrechte in Paris verabschiedet. Ein Meilenstein in der Geschichte der Menschheit. Leider sind Anspruch und Wirklichkeit immer noch meilenweit voneinander entfernt." Können Sie Ihren Gedanken an dieser Stelle etwas näher ausführen?

Dr. Hannelore Orth-Peine: Die Verwirklichung der propagierten Menschenrechte, also die Wahrung der Würde eines jeden Menschen, ungeachtet seiner Hautfarbe, Religion, Nationalität oder Geschlecht, ist mir ein ernstes Anliegen. Momentan leben wir aber leider in einer Zeit, in der nicht nur durch die Flüchtlinge, Trump und die AfD, diese Rechte in Frage gestellt werden, was meines Erachtens Rückwirkung auf unsere Demokratie hat. Mir unverständlich, sehen sich viele nach der guten, alten Zeit, obwohl dieses Bild nur eine Fiktion ist, und nie Realität war. 

Helga König: Sie schreiben auch: "Immer wieder habe ich in meiner Jugendzeit gehört: Nazis, das waren nicht wir, das waren die anderen. Wir wussten von all den Gräueltaten nichts. Schon als Kind kam mir das komisch vor. Als Jugendliche las ich alles zu dem Thema, was mir unter die Finger kam und begriff, dass die Nazis ‚nicht vom Himmel gefallen sind‘, sondern durch Wahlen und die Protektion des Großkapitals an die Macht gekommen sind. Das führte zu teilweise hitzigen Diskussionen. Später lernte ich, dass das Leugnen ein Teil der Verdrängung und bei manchen ein Ausdruck von Scham war. Pogrom 1938 (Ausstellung in der A.d.K Berlin) zeigt anhand von Fotos, wie gierig die Masse Mensch auf die Auslöschung jüdischen Lebens in Deutschland war. Ich finde das erschreckend."

Was können wir tun, damit sich die Geschehnisse nicht mehr wiederholen? 

 Dr. Hannelore Orth-Peine 
Dr. Hannelore Orth-Peine: Es wird mehr auf Twitter gepöbelt und gar nicht erst eine Verständigung versucht. Außerdem stört es mich, dass rechtes Denken und die damit einhergehenden Fake-News viel zu breiten Platz einnehmen. Man muss und sollte auch nicht jeden Quark kommentieren, das verschafft ihm eine Verbreiterung, die ihm nicht zukommt und ihn zudem populär macht. 

Helga König: Kann ein Mensch sich kulturell wohlverhalten, ohne mitmenschlich zu sein?

Dr. Hannelore Orth-Peine: Kultur beinhaltet Mitmenschlichkeit, das Zugehen auf den anderen, um ihm gerecht zu werden und einen Austausch auf Augenhöhe anzustreben. 

Helga König: Dann schreiben Sie "Und immer wieder kaufen wir Dinge, die uns die Werbung als angesagt suggeriert und die wir nicht brauchen mit Geld, das wir für anderes dringender benötigten - und das alles nur, um im Strom mitzuschwimmen und andere zu übertrumpfen." Ein interessanter Gedanke, gerade in der Vorweihnachtszeit! Können sie diesen etwas näher ausführen?

Dr. Hannelore Orth-Peine: Die Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes führt zu Geschenkenbergen, die uns vom Kern der Botschaft entfernen. Auch wenn man nicht an die Weihnachtsgeschichte glaubt, so ist das Fest doch ein Fest der Familie, der Zuwendung zu anderen, der gelebten Mitmenschlichkeit, die sich nicht in erster Linie in Geld oder Gaben niederschlägt, sondern in dem Zuhören, dem Zeit verbringen ihren Niederschlag finden sollte.

Liebe Dr. Hannelore Orth-Peine, Ihnen herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.

Ihre Helga König 


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